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Einkaufen in Athen. Nachts trauen sich Einwanderer aber kaum noch raus.
© dpa

Griechenland: Hass und Angst

In Athen häufen sich Angriffe auf Einwanderer. Menschenrechtler werfen der Politik schwere Versäumnisse in der Flüchtlings- und Asylpolitik vor.

„Ich lebe in Angst“, sagt der junge Mann, der sich Raza nennt. Vor drei Jahren kam er als illegaler Einwanderer aus Pakistan nach Griechenland. Inzwischen hat er eine Aufenthaltsgenehmigung und arbeitet in einer Autowaschanlage an der Vouliagmenis Avenue im Athener Vorort Ellinikon. Der 25-Jährige hat es geschafft in Griechenland. Und doch denkt Raza daran, nach Pakistan zurückzukehren. Abends traut er sich nicht mehr aus der kleinen Wohnung, die er sich in Ellinikon mit zwei anderen Migranten teilt. Seinen Mitbewohnern geht es genauso. „Alle haben Angst“, sagt Raza – Angst vor den schwarzgekleideten Männern, die auf ihren Motorrädern nach Einbruch der Dunkelheit in den Einwanderervierteln ihre Runden drehen. Wer ihre Aufmerksamkeit erregt, bezahlt womöglich mit dem Leben. Wie jener 19-jährige Iraker, der am vergangenen Sonntag in den frühen Morgenstunden in der Nähe des Athener Omonia-Platzes von fünf Männern mit Fäusten, Steinen und Messern attackiert wurde.

Kaum eine Nacht vergeht mehr ohne Übergriffe gegen dunkelhäutige Migranten. Dschavent Aslam, der Vorsitzende der pakistanischen Gemeinde in Griechenland, spricht von 500 Angriffen allein in den vergangenen sechs Monaten – „mit Duldung der Polizei“, wie Aslam behauptet. Bisher konnten die Täter stets unerkannt entkommen. „Der Anstieg der ausländerfeindlichen Angriffe beginnt eine gefährliche Dimension anzunehmen“, warnte diese Woche der griechische Justizminister Antonis Roupakiotis. Und Nikos Dendias, der Minister für Bürgerschutz, kündigte ein „unnachsichtiges Vorgehen gegen die Täter“ an.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl illegaler Einwanderer nach Griechenland stark gestiegen. Laut Schätzungen dürften es mehr als eine Million sein. Aussicht auf Arbeit hat angesichts einer Arbeitslosenquote von 23 Prozent kaum einer der Zuwanderer. Viele schlagen sich mit Drogenhandel, Diebstählen und Straßenraub durch, andere suchen in Mülltonnen nach Essbarem. In der Umgebung des Omonia-Platzes, wo besonders viele Einwanderer leben, ist die Stimmung konfrontativ. Griechen trauen sich nicht mehr in diese Viertel, Polizisten patrouillieren dort mit kugelsicheren Westen. Fast täglich finden Razzien in Athen statt, um illegale Einwanderer aufzugreifen. Mehr als 1500 wurden nach offiziellen Angaben bereits festgenommen. Doch die Abschiebung kann Monate dauern. Und die Aufnahmelager sind überfüllt. Bürgerschutzminister Dendias spricht von einer „Zeitbombe an den Fundamenten der Gesellschaft und des Staates“. Seit dem Ansturm der Dorer vor 4000 Jahren habe Griechenland keine solche Invasion erlebt.

Human Rights Watch (HRW) veröffentlichte im Juli einen Bericht über die Situation illegaler Einwanderer in Griechenland unter dem Titel „Hass auf den Straßen“. Die Menschenrechtsorganisation wirft der Regierung eine „verfehlte Migranten- und Asylpolitik“ vor. Seit kürzlich ein pakistanischer Einwanderer auf der Insel Paros eine 15-jährige Griechin vergewaltigte und lebensgefährlich verletzte, hat sich das Klima weiter verschärft. Verbrechen wie dieses sind Wasser auf die Mühlen der neofaschistischen Partei „Goldene Morgenröte“, die bei der Wahl vom Juni fast sieben Prozent Stimmenanteil erreichte und jetzt mit 18 Abgeordneten im Parlament sitzt. Die Zeitung „Ta Nea“ diagnostiziert Anzeichen einer neuen „Barbarei“ und erkennt Parallelen zur Weimarer Republik.

Dendias hat jetzt Hunderte Polizisten zusätzlich zur Überwachung der griechisch-türkischen Grenze abgeordnet. Hier kamen bisher in manchen Nächten bis zu 500 Migranten über die Grenze. Seit die Patrouillen verstärkt wurden, sind es weniger als hundert. Einen besonders neuralgischen Abschnitt der Grenze lässt Dendias jetzt mit einem hohen Zaun sichern, wie ihn die USA an der Grenze zu Mexiko errichtet haben.

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