NSA und das Handy der Kanzlerin: Harald Range will Angela Merkel nicht befragen
Generalbundesanwalt Harald Range teilte nun mit, dass er doch ein Ermittlungsverfahren wegen des von der NSA abgehörten Handys der Bundeskanzlerin einleitet. SPD und Grüne finden das nicht ausreichend. Und mit Merkel selbst will Range erst gar nicht reden.
Im Ermittlungsverfahren wegen des abgehörten Handys von Angela Merkel will Generalbundesanwalt Harald Range die Kanzlerin nicht befragen. „Das steht nicht auf der Agenda“, sagte Range am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“. Auch eine Befragung des Informanten Edward Snowden in Moskau stehe „im Augenblick nicht zur Debatte“. Zu einer Befragung in Deutschland sagte Range, er habe „zur Kenntnis genommen, dass es offensichtlich ein Gutachten für den NSA-Untersuchungsausschuss gibt, in dem Bedenken erhoben werden“. Das sei für ihn „natürlich beachtlich“. „Mit einem Bedenken der Kanzlerin“ habe dieses Gutachten der Bundesregierung in seinen Augen aber „nichts zu tun“.
Monatelang hat sich Der Generalbundesanwalt hat sich monatelang Zeit genommen, jetzt muss er warten. Morgens um neun kommt der Rechtsausschuss des Bundestages am Mittwoch im Paul-Löbe-Haus zusammen. Fast drei Stunden und 19 andere Tagesordnungspunkte hindurch sollte es dann dauern, bis Harald Range den Abgeordneten mitteilen kann, was tags zuvor schon durchgesickert war: Der oberste Ankläger der Republik hat nach mehreren Monaten Prüfung ein Ermittlungsverfahren wegen der mutmaßlichen Ausspähung von Angela Merkels Handy eingeleitet – und verzichtet vorläufig auf ein Verfahren wegen angeblicher massenhafter Ausspähung von Bürgern.
Keine handfesten Beweise gegen den Geheimdienst NSA?
Damit hat ein Hin und Her ein Ende, das für Range und seine Behörde zunehmend peinlich geworden war. Lange hatten die Karlsruher Ermittler die Linie verfolgt, dass es über die Tätigkeit des US-Geheimdiensts NSA und der Spione des britischen GCHQ zwar jede Menge Verdächtigungen und Mutmaßungen, aber keine handfesten Beweise gebe und man der mutmaßlichen Zeugen oder Täter ohnehin nicht habhaft werden könne. Noch vor kurzem gingen Meldungen durch die Presse, Range werde die Akten schließen. Doch der Generalbundesanwalt, der sein Amt noch der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verdankt, hat es sich nun anders überlegt. Dass er damit auf öffentlichen oder gar politischen Druck aus Berlin reagiert habe, wies der Jurist in der Sitzung zurück: Er habe unabhängig seinen Beschluss getroffen.
Hinterher teilte er seine Entscheidung nur kurz vor den Kameras in Berlin mit, dann hastet er zum Flughafen zur verspäteten Pressekonferenz nach Karlsruhe. Die inhaltliche Begründung liefert die Bundesanwaltschaft in einer Presseerklärung. In Sachen Kanzlerinnen-Handy, so Range, habe man in den Vorermittlungen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür gefunden, dass US-Agenten Merkels Mobiltelefon ausgespäht haben könnten. Das rechtfertige es, wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt einzuleiten. Die Bundesregierung habe Amtshilfe zugesagt, deutsche Geheimdienste und Sicherheitsbehörden sind ohnehin zur Kooperation verpflichtet.
Völlig anders, betont Ranges Behörde, sei die Lage in Sachen angeblicher Massenausspähung. Unzählige Zeitungs- und Internetseiten sind mit dem Thema vollgeschrieben worden, gut 2000 Strafanzeigen gingen in Karlsruhe ein. Doch vor den prüfenden Augen der Staatsanwälte blieb von dem gigantischen Verdacht praktisch nur heiße Luft. Weder für Massenausspähung noch für das angebliche Anzapfen von Internet-Knotenpunkten etwa in Frankfurt hätten sich Belege gefunden, an die die Ermittler anknüpfen könnten. Selbst die Frage, „ob“ britische und amerikanische Dienste überhaupt in Deutschland auf den Internet- und Telefonverkehr zugriffen, könne man nicht beantworten. So bleibe nur eine „abstrakte Annahme“ – zu wenig für Strafermittlungen. Im Gegenteil, bei diesem Sachstand wäre ein Verfahren „gesetzlich nicht zulässig“. Die Akten ganz schließen will Range aber nicht; der Prüfvorgang bleibt offen. Wenn sich – sei es im Zuge der Merkel-Handy-Ermittlung, sei es auf anderem Wege – doch noch ein Anfangsverdacht erhärten lasse, dann werde auch daraus ein förmlicher Ermittlungsvorgang.
Dass dieses zweistufige Vorgehen ihm in der Politik nicht nur Freunde verschaffen würde, dürfte Range klar gewesen sein. Zwar loben in Berlin erst mal alle den Beschluss, die NSA wegen Merkels „Handygate“ überhaupt ins Visier zu nehmen. Aber der zweite Teil seiner Entscheidung passt manchem nicht. Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss etwa, Christian Flisek, sagt, er sei „ein wenig irritiert“ über die Beschränkung auf die Kanzlerin. Und der Grünen-Rechtspolitiker Hans Christian Ströbele schimpft: „Das Hauptdelikt, das hier zur Diskussion steht, ist die massenhafte Ausspähung“ – deshalb müsse Range auch da ermitteln.
"Ein Skandal des Rechtsstaats"
Solche Aufforderungen finden wieder andere völlig daneben. Der Vorsitzende des NSA-Ausschusses, der CDU-Jurist Patrick Sensburg, nennt schon die Vorladung Ranges vor den Rechtsausschuss „einen Skandal des Rechtsstaats“; das Parlament habe so den Behördenchef unzulässig unter Entscheidungsdruck gesetzt. Sensburg will Ranges Entscheidungsweg im NSA-Ausschuss klären, vor den Range aber bisher nicht als Zeuge geladen ist.
Ganz so weit geht die Linke nicht, doch in einem Punkt ist sich deren Rechtspolitikerin Halina Wawzyniak mit den Kollegen von CDU und CSU ausnahmsweise einig: „Die Unabhängigkeit der Justiz darf nicht infrage gestellt werden.“ Und das gelte umfassend, also auch und gerade dann, wenn einem diese Unabhängigkeit gerade mal nicht in den politischen Kram passe. Ihre Partei, betont Wawzyniak, werde deshalb nicht verlangen, dass die Bundesregierung den Generalbundesanwalt zum Ermitteln drängen solle.
Die Erfolgsaussichten der Ermittlungen gegen fremde Mächte und High- Tech-Spione erscheinen ohnehin gering. Zwar darf Ranges Behörde jetzt in Sachen Merkel-Handy den Instrumentenkasten der Strafverfolgung einsetzen. Aber dass der der Auffrischung bedarf, ist so offensichtlich, dass in Karlsruhe gerade ein neues Referat „Cyberspionage“ eröffnet wurde – es soll, so Range im Ausschuss, Jagd machen auf „James Bond 2.0“.