Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Hanni und Nanni – oder Rot-Grün 2.0
Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann hoffen, dass ihr Teamwork sie bei der morgigen Wahl in NRW wieder an die Macht bringt
Bärbel Höhn lacht an diesem Tag viel. Ihr Gesichtsausdruck ist überwiegend heiter, sie begrüßt viele alte Freundinnen und Freunde. Ihre Züge spiegeln Heiterkeit und zeigen damit eine Seite, die sie öffentlich eher selten zur Schau stellt. Die grüne Frontfrau in Nordrhein-Westfalen feiert ihren 60. Geburtstag in einer alten Fabrikhalle. Man spürt, wie wohl sie sich an diesem Tag fühlt und wie sehr sie genießt, dass erstaunlich viele Sozialdemokraten den Weg in ihre Heimatstadt Oberhausen gefunden haben. Nur hin und wieder verengen sich die Augen, setzt sie jenen Blick auf, den Kombattanten in Debatten mit ihr fürchten, weil sie dann gleich verbal zurückschlägt. An diesem Vormittag passiert das immer, wenn irgendjemand an die erste rot-grüne Koalition im größten Bundesland erinnert, wenn der Name Wolfgang Clement fällt, mit dem sie sich unzählige Gefechte geliefert hat.
Für die Sozialdemokraten im Saal fällt der Name Clement etwas zu häufig, aber er gehört zur Geschichte dieser beiden Parteien und vor allem zur Geschichte von Bärbel Höhn. „Ja, wir haben häufig gestritten“, wird sie hinterher im kleinen Kreis sagen, aber oben auf der Bühne hatte sie zumindest an diesem Tag das Bedürfnis, die ersten zehn Jahre Rot-Grün nicht nur auf ihr Verhältnis zu Clement zu reduzieren. „Wir haben auch viel erreicht“, heißt das in ihren Worten.
Diese Zeiten liegen lange zurück. Heute stehen Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann nebeneinander; spielen perfekt die Rolle von Hanni und Nanni, als die sie nicht nur von Parteifreunden karikiert werden – und wollen nach der Landtagswahl am kommenden Sonntag gemeinsam weiterregieren. Am liebsten mit eigener Mehrheit, ohne die Notwendigkeit wechselnder Mehrheiten, die beide in 22 Monaten Minderheitsregierung von der Linkspartei, aber auch von CDU und FDP bekamen. Bis das Arrangement im März am Haushalt scheiterte: Unterschiedliche Auffassungen über das Abstimmungsverfahren zum Haushaltsgesetz endeten vor zwei Monaten mit der Auflösung des Landtags.
„Es ist gut, wenn Frauen wieder den Haushalt machen“, haben die Grünen in diesem Wahlkampf plakatiert und dabei, was einem Tabubruch gleich kommt, die Sozialdemokratin Kraft neben der Grünen Löhrmann abgebildet. Dass es um dieses Plakat in einer ersten Fassung Ärger gab, weil neben Kraft der Spruch „Zweitstimme Grün“ gesetzt wurde und es so aussah, als wenn die Genossin hier direkte Werbung für die Konkurrenz machte, irritierte nur kurz. Die Grünen nahmen den Spruch weg und plakatierten weiter Hanni und Nanni. Früher, zu Wolfgang Clements Zeiten, hätte solch eine Panne eine veritable Schlacht zwischen Rot und Grün ausgelöst.
Dass so etwas heute nicht mehr passiert, hat viel mit den beiden Spitzenfrauen zu tun.
Dass so etwas heute nicht mehr passiert, hat viel mit den beiden Spitzenfrauen zu tun. Es ist nicht so, dass sie keine Konflikte hätten, hin und wieder kracht es auch zwischen ihnen. Aber sie tragen ihre unterschiedlichen Positionen nicht zuerst nach draußen, sie versuchen hinter verschlossenen Türen eine Lösung zu finden – und manchmal bleibt auch jede bei ihrer Position. Vielleicht hat ihre andere Art der Konfliktbewältigung damit zu tun, dass sie als Frauen Konflikte anders lösen; vielleicht können sie sich wirklich auf „Augenhöhe“ begegnen, wie es der sozialdemokratische Fraktionschef Norbert Römer formuliert, der im Hintergrund viele Strippen zieht. „Niemand muss sich strecken, niemand muss sich bücken“, lautet seine Erfolgsformel für das rot-grüne Bündnis 2.0, das in den zurückliegenden zwei Jahren erstaunlich geräuschlos gearbeitet hat.
Das Bündnis hat den demoskopischen Höhenflug der Grünen nach Fukushima ausgehalten, es ist jetzt ruhig geblieben, als die grünen Werte sanken und die Sozialdemokraten hin und wieder an der 40-Prozent-Marke kratzten; was vor allem mit der Hannelore Krafts Beliebtheit zu tun hat. Natürlich fanden die Grünen ihre Talfahrt ungerecht, aber sie sind nicht in alte Reflexe verfallen, wie das früher mit Sicherheit geschehen wäre.
Statt dessen haben Kraft und Löhrmann verabredet, arbeitsteilig vorzugehen. Die Ministerpräsidentin hat sich vor allem mit ihrem Herausforderer Norbert Röttgen beschäftigt. Dass der ihr so viele schöne Vorlagen liefern würde, konnte sie nicht ahnen, aber sie hat sie dankbar angenommen. Wo Röttgen verkopft und besserwisserisch argumentiert, setzt sie auf die Mischung aus Herz, Landesmutter und ruhrgebietstypischem Kampfgeist, mit der der CDU-Herausforderer erkennbar nicht umgehen kann. Nachdem sie Röttgen weitgehend neutralisiert hatte, konnte sie es sich sogar erlauben, die Piraten anzugehen. In mehreren öffentlichen Debatten hat sie sich die Neuen vorgenommen und das ebenfalls mit einer Mischung aus Freundlichkeit und gebremster Aggressivität. Sie will offenkundig machen, wie wenig die Anwärter auf sichere Mandate inhaltlich für ihre künftige Rolle vorbereitet sind. „Ich wüsste schon gerne, wie sie sich verhalten, wenn sie demnächst über den Haushalt abstimmen müssen, da helfen ihre Formeln nicht weiter“, heißt das bei Kraft.
Löhrmann hat sich unterdessen am liberalen Hoffnungsträger Christian Lindner abgearbeitet. Wenn der das Gymnasium bedroht sieht, kontert sie mit handfesten Zahlen und weist nach, dass solche Sorgen eher von Wahlkampftaktik geprägt als von Fakten untermauert sind. Wenn Lindner seine Philippika gegen rot-grüne Schulden beendet hat, wirft sie ihm einen kurzen Blick zu und kontert: „Ihre Glaubwürdigkeit leidet, weil sie ihren teuren FDP Wahlkampf über Kredite finanzieren.“ An solchen Stellen nickt Hannelore Kraft zustimmend.
Jürgen Zurheide
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