Rechtsextremismus in Ostdeutschland: Handwerkliche Fehler in Regierungsstudie
Warum ist der Osten so rechts? Das hat die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, die SPD-Politikerin Iris Gleicke, erforschen lassen. Dabei ist nicht alles glatt gelaufen.
In der Regierungsstudie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland sind den Autoren handwerkliche Fehler unterlaufen. Das gibt das Team des von Prof. Franz Walter geleiteten Instituts für Demokratieforschung in Göttingen zu. Es hat die Hintergründe für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in den neuen Ländern untersucht. Auftraggeberin: die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, die SPD-Politikerin Iris Gleicke. Sie hatte die 232-seitige Studie vergangene Woche in Berlin vorgestellt.
Danny Michelsen, einer der Autoren, sagte am Dienstag dem Tagesspiegel: "Es war zweifellos ein Fehler, dass wir im Namensverzeichnis nicht mit Sternchen noch einmal gekennzeichnet haben, welche Interviewpartner anonymisiert wurden." Er wies aber darauf hin, dass "durch die einfache Bezeichnung von Herrn ... und Frau ... es ja auch offensichtlich ist, dass hier anonymisiert wurde". Michelsen erklärte im Namen des gesamten Autorenteams: "Dieses formale Defizit ist aber, wie gesagt, ein Fehler, den wir bei einer überarbeiteten und ergänzten Buchpublikation auch beheben werden."
Zitierweise ist problematisch
Problem ist offenbar vor allem die Zitierweise bei einigen der Experten sowie bei anderen Akteuren aus Politik und Zivilgesellschaft, die für die Studie interviewt wurden. Besonders in den Fokus genommen hatten die Autoren die sächsischen Kleinstädte Freital und Heidenau in der Nähe von Dresden, wo es 2015 besonders heftige fremdenfeindliche Krawalle gegeben hatte sowie den Erfurter Plattenbau-Stadtteil Herrenberg. Insgesamt waren für die Studie 40 Einzelinterviews geführt worden.
So taucht auf Seite 90 der Studie ein "Herr Reese" als "führender Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung" auf, der über ein "monarchieähnliches Zusammengehörigkeits- und Harmoniebedürfnis" in Sachsen spricht. Die "offene Streitkultur" sei demnach im Freistaat "schwach ausgeprägt".
Man streite, "aber bitte nicht so schlimm und immer gucken, (...) ob (der König) noch geneigt ist, das sich anzuhören. Das entspricht ja auch der Erfahrung. Die Monarchiezeiten waren nicht die schlechtesten." Aus der Landeszentrale für politische Bildung heißt es dazu laut "Welt": "Unser angeblicher leitender Angestellter Reese wird an fünf Stellen zitiert, mit Positionen, die Sie niemals aus unserem Haus hören würden."
Göttinger Wissenschaftler sehen Kampagne
Die Autoren aus Göttingen versichern, dass dieses und auch alle anderen Zitate genau so gefallen sind, auch wenn der leitende Mitarbeiter der Landeszentrale tatsächlich nicht "Herr Reese", sondern anders hieß und nicht mit Namen habe zitiert werden wollen. Dass dieser oder andere Gesprächspartner "erfunden" worden seien, wie die "Welt" berichtet hatte, weisen die Wissenschaftler indes als "verleumderische und wider besseren Wissens aufgestellte Unterstellung" zurück. Man habe lediglich zum Schutz der Befragten "diese mehrheitlich anonymisiert bzw. namentlich verfremdet", eine "nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Journalismus ganz und gar übliche Methode, um Quellen zu schützen". Die Autoren werfen der Zeitung eine "Kampagne" vor.
Überrascht über den Umgang der Autoren mit ihrem Interview war auch die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete und Rechtsextremismus-Expertin Kerstin Köditz, die in der Studie als "Frau Ackermann" zitiert wird. Sie lässt mitteilen, dass es zur Frage der Anonymisierung kein Gespräch zwischen den Autoren und ihr gegeben hat. Ein Fraktionssprecher sagt, Köditz hätte sich auch namentlich zitieren lassen. "Sie hat das nicht als konspirative Angelegenheit betrachtet."
Köditz selbst hält die Regierungsstudie dennoch "für sehr wichtig und notwendig". Sie sagte dem Tagesspiegel: "Ich bin traurig, dass jetzt über Formalia diskutiert wird und nicht über den Inhalt der Studie."
Für Gleicke steht Seriosität der Studie außer Zweifel
Die Ost-Beauftragte Gleicke kann die Kritik nicht nachvollziehen. Sie sagte am Dienstag: "Ich sehe keinen Grund für Zweifel an Inhalt und Methodik der Studie. Im Übrigen ist doch allen völlig klar, dass eine Gefahr vom Rechtsextremismus in Ostdeutschland ausgeht. Das zu leugnen oder kleinzureden, heißt, den Kopf in den Sand zu stecken." Das habe sie schon bei der Vorstellung des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit im vergangenen Jahr sehr deutlich gemacht.
Sachsens CDU-Generalsekretär spricht von "Machwerk"
Die Kritiker der Rechtsextremismus-Studie dagegen fühlen sich neu munitioniert. Vor allem in Sachsen, nachdem die Studie für den Freistaat "eine spezifische, von den dortigen Vertretern der CDU dominierte politische Kultur" ausgemacht hatte, die "das Eigene überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere, Äußere kultiviert".
Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer hatte die Studie bereits vergangene Woche im Deutschlandfunk als "Machwerk" bezeichnet und sieht sich nun bestätigt. Er spricht von einer "dünnen Forschungslage" und "pseudopsychologischen Diagnosen" und "nicht belegten Stereotypen". Die Untersuchung aus dem Hause der Ost-Beauftragten sei "ein politisches Papier und keine wissenschaftliche Arbeit".
CDU/CSU-Fraktionsvize Arnold Vaatz schloss sich der Kritik an. Er sagte am Dienstag: "Die Studie ist in ihrem Aufbau abwegig und wissenschaftlich höchst bedenklich." Der Aufbau Ost sei eine beispiellose Erfolgsgeschichte für alle Menschen in Deutschland. Mit Blick auf Gleicke erklärte der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete: "Eine Ostbeauftragte, die durch einseitige Extremismusforschung den Linksextremismus faktisch unter Schutz stellt, hat ihre Aufgabe verfehlt."
Die sächsische AfD übernahm den "Machwerk"-Vorwurf. Ihr stellvertretender Vorsitzender Thomas Hartung kritisiert eine "merkwürdige Mischung aus Anonymität und Nicht-Anonymität". Und schlussfolgert: "staatlich finanzierte Fake-Forschung".
Die Untersuchung war zu dem Schluss gekommen, dass Rechtsextremismus zwar "nicht ausschließlich" ein ostdeutsches Problem sei. Es werde aber befördert durch regionale Besonderheiten, "die in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind". Dazu zählten unter anderem die Sozialisierung in der DDR, ein weit verbreitetes "Gefühl der kollektiven Benachteiligung", fehlende Erfahrungen mit Ausländern und auch mangelnde politische Bildung.
In der Studie heißt es, viele Ostdeutsche fühlten sich gegenüber Westdeutschen nach wie vor benachteiligt oder als Bewohner rechtsextremer Hochburgen "gebrandmarkt". Dies führe zu einer "Überhöhung" der eigenen regionalen oder ostdeutschen Identität auch gegenüber Zuwanderern.