75 rechte Attacken gegen Parteibüros im Jahr 2015: Hakenkreuze, eingeschlagene Scheiben, Bedrohungen
Die Missstimmung über die Politik schlägt in Gewalt um: Im vergangenen Jahr gab es 75 rechte Attacken gegen Politiker-Büros, die meisten von ihnen in Brandenburg und Sachsen. Seit 2010 sind es fast 500.
Die Art der Attacken ist vielfältig: Mal wird, wie an einem SPD-Wahlkreisbüro in Ribnitz-Damgarten, der Schriftzug "Volksverräter" auf der Fensterscheibe angebracht. Ein Linken-Politiker aus dem niedersächsischen Herzberg am Harz bekommt eine Postkarte "Fresse! Anti Deutsche Ratte!" Andernorts werden Büros mit Hakenkreuze beschmiert, Farbbeutel geworfen, Scheiben eingeschlagen. Andere Politiker werden als "asylbesoffen und inländerfeindlich" beschimpft.
Politisch rechts motivierte Delikte gegen Politiker und ihre Büros in Deutschland: 75 Attacken wurden im vergangenen Jahr polizeilich erfasst, wie aus Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der thüringischen Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner und ihrer sächsischen Grünen-Kollegin Monika Lazar hervorgeht. Tatverdächtige konnten nur in neun der 75 Fälle ermittelt werden. Renner hatte bereits im Herbst nach den bis dahin vorliegenden Zahlen gefragt, nun bekam Lazar die Statistik der verbleibenden Wochen bis Jahresende 2015.
Die Mehrzahl der Attacken richtet sich gegen die Linkspartei - 46 waren es im Jahr 2015. In der Statistik folgen die SPD, gegen deren Parteibüros 22 Angriffe verübt wurden. Fünf Attacken gegen die Grünen wurden gezählt, zwei gegen die CDU und einer gegen die FDP. In der Statistik erfasst werden nur politisch rechts motivierte Straftaten, die unmittelbar gegen Bundestags- und Landtagsabgeordnete oder deren Büros gerichtet waren. Die rechtsradikale AfD, gegen deren Parteibüros es auch immer wieder Angriffe gibt, kommt in der vom Bundesinnenministerium vorgelegten Übersicht nicht vor.
Die meisten Angriffe gab es im vergangenen Jahr in Brandenburg (13), Sachsen (zwölf) und Nordrhein-Westfalen (elf). Insgesamt summiert sich die Zahl der Attacken gegen Parteibüros seit 2010 auf fast 500. In den vergangenen Jahren hatte sie zwischen 43 (2013) und 113 (2011) gelegen. Einzelne Politiker sind besonders betroffen, zum Beispiel die sächsische Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay. Auf ihre Wahlkreisbüros in Hoyerswerda und Bautzen wurden seit 2010 inzwischen 26 Angriffe verübt, allein zwei davon im neuen Jahr.
Insgesamt spiegelt die Statistik des Bundesinnenministeriums nur einen Ausschnitt der Bedrohungen gegen Politiker wider, denn sie bezieht sich nur auf Bundes- und Landespolitiker - und nur auf die polizeilich erfassten Fälle. Die SPD-Politikerin Pia Findeiß, Oberbürgermeisterin im sächsischen Zwickau, berichtete im ARD-Magazin "Panorama", dass sie seit anderthalb Jahren regelmäßig Attacken von "Flüchtlingsgegnern" ausgesetzt sei, diese bisher aber nicht öffentlich gemacht habe.
So sei ihr Haus mit Farbbeuteln verschmutzt, das Schloss ihrer Haustür mit Leim verklebt und ihr Auto mit Fett beschmiert worden. Darüber hinaus bekomme sie immer wieder anonyme Drohungen, darunter auch ihre eigene Todesanzeige. Insgesamt fünf Strafanzeigen habe sie erstattet, bisher sei allerdings kein Täter ermittelt worden. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir in Deutschland wieder in eine Situation kommen, in der Menschen nicht mehr sicher sein können, dass sie unversehrt den Tag überstehen", sagte Findeiß.
Grüne und Linke: Hemmschwelle gefährlich gesunken
"Die Hemmschwelle, Gewalt als Mittel in der politischen Auseinandersetzung einzusetzen, ist gefährlich gesunken", sagte die Grünen-Abgeordnete Lazar. Wenn Meinungsstreit nicht mehr argumentativ, sondern mittels Straftaten geführt werde, müsse das die gesamte Gesellschaft alarmieren.
Dabei sieht die Grünen-Politikerin Abgeordnete gegen über anderen Gruppen sogar noch privilegiert, weil den gegen sie verübten Attacken besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. "Doch werden auch viele andere engagierte Menschen aus politischen Gründen angegriffen. Gerade Geflüchtete oder zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für Minderheiten einsetzen, sind tagtäglich schlimmen Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt und bleiben namenlose Opfer. Gewalt muss mit aller Schärfe verurteilt und geahndet werden - ohne Ansehen der Person und gleichgültig, aus welcher Motivation sie erfolgt", sagte Lazar.
Die mehrfach selbst von Attacken betroffene Abgeordnete Lay, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, sagte dem Tagesspiegel: "Die zunehmende Gewalt gegen Abgeordneten- und Parteibüros, besonders der Partei Die Linke, stellt eine Eskalation dar, die an dunkelste historische Epochen des vergangenen Jahrhunderts erinnert." Rechte Gewalttäter beabsichtigten mit ihren Angriffen, gezielt insbesondere linke und antifaschistische Politiker und Organisationen einzuschüchtern und zur Aufgabe ihres Engagements zu zwingen. Es ziele aber als Warnung auf alle ab, die sich solidarisch engagieren. "Die Aufklärungsquote könne deutlich höher sein. "Diese Gewaltwelle und die damit einhergehende Strategie der Angst müssen gestoppt werden."