In aller Öffentlichkeit: Größtmögliche Transparenz im Verfahren gegen Spaniens Separatisten
Der Prozess gegen die katalanischen Separatistenführer wird in Spaniens TV live übertragen. In Deutschland undenkbar - warum eigentlich?
Hunderte Katalanen sitzen in Barcelona auf Klappstühlen vor einer Großleinwand, applaudieren und nicken zustimmend, dann wieder gibt es wütende Pfiffe und Kopfschütteln. Wird hier ein Fußballspiel aus dem Camp Nou auf die Straße übertragen? Nein. Das Publikum verfolgt - in Deutschland undenkbar - ein Gerichtsverfahren. Die Anhörungen des ebenso spektakulären wie umstrittenen Prozesses gegen zwölf Separatistenführer aus der Krisenregion werden seit Wochen rund um die Uhr live im Fernsehen und per Internet-Stream in die Wohnzimmer der Spanier übertragen.
An besonderen Sitzungstagen wird auch mal ein Public Viewing organisiert: So geschehen Ende Februar, als der Präsident der Separatistenorganisation Omnium Cultural, Jordi Cuixart, vor dem Obersten Gericht in Madrid vernommen wird. 500 Unterstützer des Aktivisten folgen dem Ruf der Organisation, verwandeln das Verhör in ein Open-Air-Happening und machen mit Nachdruck deutlich, dass es sich bei den Inhaftierten ihrer Meinung nach um nichts Geringeres als „politische Gefangene“ handelt.
Cuixart sitzt seit mehr als einem Jahr in U-Haft und muss sich zusammen mit seinen elf Mitangeklagten wegen möglicher Straftaten im Rahmen des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017 verantworten. Den Politikern und Aktivisten, darunter zahlreiche frühere Minister, drohen unter anderem wegen des Vorwurfs der Rebellion und des Aufruhrs lange Haftstrafen.
Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien machen seit Monaten gegen die spanische Justiz mobil, während in Madrid und anderen Städten spanische Flaggen an den Fenstern wehen und auf die Einheit des Landes pochen. Aber wieso darf in Spanien eine derart kontroverse Strafsache so öffentlich gezeigt werden, während deutsche Gerichte dies unterbinden?
„In Spanien ist die totale Öffentlichkeit eines Strafprozesses, inklusive Ton- und/oder Filmaufnahmen, die gesetzliche Regel, die nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden kann“, erklärt der in Barcelona ansässige Anwalt Carlos Wienberg. Bei großem öffentlichen Interesse, wie in der Vergangenheit bei den Verfahren rund um den Korruptionsskandal „Operación Gürtel“ und die Terroranschläge in Madrid von 2004, wird live übertragen - wenn auch nicht unbedingt im „rund um die Uhr“-Format wie derzeit beim Separatistenprozess.
Der Prozess als Bühne - nicht als Pranger
„In Deutschland sind Film- und Tonaufzeichnungen hingegen nur in Ausnahmefällen erlaubt“, sagt Wienberg. Das ist im Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes so verankert, wo es unter anderem heißt: „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.“
Ausnahmen kann es „in besonderen Fällen“ bei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geben. Zudem können Tonaufnahmen in Einzelfällen etwa zu wissenschaftlichen oder historischen Zwecken zugelassen werden, „wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ für die Bundesrepublik handelt.
Ganz anders in Spanien. Carlos Lesmes, der Präsident des obersten spanischen Gerichtshofs, hatte im Vorfeld erläutert, warum nicht nur die 600 akkreditierten Journalisten das Verfahren ständig begleiten sollen, sondern auch ganz normale Bürger die Möglichkeit bekommen, die Sitzungen zu verfolgen. „Wir stehen vor dem wichtigsten Prozess in der Geschichte der spanischen Demokratie“, betonte Lesmes und fügte hinzu, man wolle der Welt beweisen, dass die spanische Justiz transparent und unabhängig arbeite.
Rechtsexperten wie Wienberg stimmen dem zu. „Ich halte die öffentliche Übertragung angesichts des überragenden öffentlichen Interesses für richtig. Der Prozess wird von Millionen Zuschauern mit Spannung verfolgt - und teilweise finden ja sogar Liveübertragungen auf der Straße statt.“ Persönlichkeitsrechte würden dabei nicht verletzt, „da alle Angeklagten nicht nur damit einverstanden sind, sondern sich sogar den öffentlichen Auftritt und die Medienpräsenz wünschen“. Der Prozess als Bühne also - nicht als Pranger.
Anwalt: Transparenz stärkt Vertrauen in den Rechtsstaat
Zeugen haben dabei das Recht, nicht gefilmt zu werden. Dutzende wurden seit Prozess-Start am 12. Februar bereits vernommen, aber nur ganz wenige haben es bisher abgelehnt, von Fernsehkameras aufgenommen zu werden.
Die Zukunft wird zeigen, ob der Versuch der „totalen Transparenz“ Früchte trägt. Sicher ist, wie Carlos Wienberg es auf den Punkt bringt, „dass sich jedermann unmittelbar selbst ein Bild davon machen kann, ob der Prozess rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt“. Dies, so ist der Anwalt überzeugt, stärke bei den Bürgern das Vertrauen in den Rechtsstaat. Ob es auch dazu beiträgt, die schwere Krise zwischen dem weiterhin von Abspaltungsgelüsten getriebenen Katalonien und dem Zentralstaat zu entschärfen, bleibt abzuwarten. (dpa)
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