Reagan in den USA: Größtes Vorbild
Er gab Amerika die Zuversicht wieder – über die Schattenseite der Ära redet kaum jemand.
Auf keine Persönlichkeit trifft der amerikanische Ausdruck „larger than life“ besser zu. Ronald Reagan gilt heute in den USA als herausragende Figur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Bild hat sich von den Fakten gelöst. Der Flughafen der Hauptstadt Washington, unzählige Kongresszentren und ein Flugzeugträger sind nach ihm benannt. Aktive Politiker – keineswegs nur Republikaner – sonnen sich so gerne in seinem Schein, dass Journalisten, wenn sie einen Politiker nach seinem größten Vorbild fragen, einschränken: abgesehen von Reagan. Als Gallup 2009 nach dem größten Präsidenten der US-Geschichte fragte, landete Reagan auf Platz eins, knapp vor Kennedy und Lincoln.
Was macht den 40. Präsidenten, der am 6. Februar 100 Jahre alt geworden wäre, so anziehend? Das Reagan-Bild lebt vor allem von drei Faktoren: Er verbreitete Optimismus, unter ihm überwand das Land eine schwere Wirtschaftskrise und er gab den USA den Glauben an ihre Weltmachtrolle zurück. Es scheint, als hofften die Bürger von ihm Patentrezepte zur Überwindung der aktuellen Nöte zu bekommen. Auch Barack Obama folgt diesem Trend. Als Lektüre für den Weihnachtsurlaub nahm er die Reagan-Biografie „Die größte Rolle meines Lebens“ mit.
Der nahende 100. Geburtstag hat die Nostalgie nochmals gesteigert und die Kritik verdrängt. Vom Iran-Contra-Skandal, dem illegalen Waffenverkauf an Iran, mit dessen Erlös antikommunistische Rebellen in Nicaragua finanziert wurden, ist in den USA heute kaum noch die Rede. Ebenso wenig vom Luftangriff auf Libyen.
Die Medien interpretieren die historischen Fakten kreativ. Als Hauptgrund für Reagans Erfolg nennen sie gerne den Slogan „It’s morning again in America“. Frei übersetzt: Ein neuer Tag bricht an. Die Bürger konnten das Gefühl der Ohnmacht überwinden, das die Carter-Präsidentschaft mit dem Ölpreisschock, der Machtergreifung der Mullahs im Iran und der langen Geiselhaft der US-Diplomaten in Teheran hinterlassen hatten. Tatsächlich war die Beschwörung des neuen Morgens jedoch nicht Reagans Motto für die Eroberung des Weißen Hauses 1980, sondern erst für die Wiederwahl 1984. Auch unter ihm gab es Momente außenpolitischer Schwäche wie den Rückzug aus dem Libanon nach dem Bombenanschlag auf den US-Stützpunkt in Beirut 1983, bei dem 241 Amerikaner starben.
Die unter Republikanern beliebte Darstellung, Reagan habe die USA mit niedrigen Steuern und schlankem Staat aus der Rezession geholt und ohne Schuldenaufnahme zu blühendem Wachstum geführt, ist ebenfalls in weiten Teilen eine Legende. Die Arbeitslosenrate stieg zunächst auf 10,4 Prozent, mehr als heute unter Obama. Die Ausgaben für die bei Konservativen so verhassten Sozialprogramme verdoppelten sich in Reagans zwei Amtszeiten. Die Verschuldung verdreifachte sich.
Entscheidend war: Reagan gab den Amerikanern die Zuversicht zurück, dass sie die Krise meistern können. Die Wirtschaftsdaten besserten sich rechtzeitig zur Wiederwahl 1984. Und die USA standen bald wieder als Weltmacht da, der kein anderer Staat ebenbürtig ist. Die Sowjetunion zog beim Rüstungswettlauf, in der Forschung und im Wettbewerb um das attraktivere Gesellschaftsmodell den Kürzeren. Im Januar 1989 endete Reagans Amtszeit. Wenige Monate danach triumphierte die Solidarnosc in Polen und fiel die Berliner Mauer. Ein neuer Tag brach an, nicht nur für Amerika.
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