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Mit dem neuen Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth kann London Kampftruppen schnell weltweit zum Einsatz bringen.
© Reuters

Nach dem Brexit: Großbritannien will Führungsmacht bleiben

Vor der Münchner Sicherheitskonferenz macht London klar: Auch nach einem Brexit wird das Land seinen globalen Anspruch aufrechterhalten.

Wie verändert der Brexit die britische Außenpolitik? Zieht sich das Empire in den Schmollwinkel der Geschichte zurück? Weit gefehlt, beteuern Premierministerin Theresa May und ihre Kabinettsmitglieder: Die Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und immerhin noch siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt werde am Anspruch festhalten, global eine gewichtige Rolle zu spielen. Bekräftigt wird diese Haltung mit dem etwas albernen Slogan „Global Britain“ – als habe die Insel bislang still und zufrieden am Nordwestrand Europas vor sich hin gelebt.
Die Rhetorik soll die Ratlosigkeit bemänteln, wozu der Brexit eigentlich dient. Als Beweis dafür, wie global das Land auch in Zukunft aufgestellt sein soll, werden gern die Streitkräfte Ihrer Majestät angeführt. Als eines von lediglich vier Nato-Mitgliedern stellt Großbritannien zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung bereit. Zuletzt betrug der Etat 36,6 Milliarden Pfund (41,8 Milliarden Euro), die Insel lag damit nach der Zählung des Londoner Strategieinstituts IISS weltweit auf Platz Sechs. Die Briten verfügen nicht nur über vier mit Atomwaffen ausgerüstete U-Boote, von denen sich mindestens eines stets in Einsatzbereitschaft befindet. Mit dem neuen Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth und amphibischen Landebooten kann London Kampftruppen schnell weltweit zum Einsatz bringen.
Muss man damit nach dem Brexit häufiger rechnen? Die Folgerung lässt sich durchaus ziehen aus einer Grundsatzrede, mit der Verteidigungsminister Gavin Williamson diese Woche Aufmerksamkeit zu erregen suchte. Darin wurden sowohl Russland wie China als Bedrohungen Europas benannt. In einer „Welt von Einflusssphären und rivalisierenden Großmächten“ schrieb der 42-Jährige seinem Land eine wichtige Rolle zu. „Wir sollten die Nation sein, der sich die Leute zuwenden, wenn die Welt Führungskraft braucht.“
Die Beziehungen zu Moskau sind seit längerem schlecht. Die Vergiftung des Überläufers Sergej Skripal in Salisbury vergangenen März hat die Briten in der Meinung bestärkt, unter dem früheren KGB-Agenten Wladimir Putin geriere sich Moskau kaum anders als die Sowjetunion im Kalten Krieg. Auf Russlands in den letzten Jahren wiederholte Verletzungen der britische Hoheitszone zu Wasser und in der Luft, reagierte London mit der Anschaffung von neun Küstenüberwachungs-Flugzeugen vom Typ Boeing Poseidon P-8.
Ausdrücklich lobte Williamson die größere Präsenz der Streitkräfte in der Karibik und im Pazifik. Dorthin soll beispielsweise die erste größere Ausfahrt des neuen Flugzeugträgers HMS Queen Elizabeth gehen – ein klares Signal an China, dass wie die USA auch Großbritannien Pekings völkerrechtswidrige Politik im Südchinesischen Meer nicht klaglos hinnehmen will. Das Ende seiner Rede aber stand ganz im Zeichen der Innenpolitik: Wer Premierministerin Theresa May dereinst beerben will, muss die konservative Parteibasis beeindrucken, die ganz überwiegend aus EU-Gegnern besteht. Deshalb sprach der Minister vom Brexit als „großen Moment unserer Geschichte“: Nun gelte es, „unsere globale Präsenz zu stärken, unsere tödliche Schlagkraft zu erhöhen und unser Gewicht zu steigern“.

"Wann und wie soll das bezahlt werden?"

Das sei alles schön und gut, findet der Londoner Militäranalyst Howard Wheeldon, fragt aber: "Wann und wie soll das alles bezahlt werden?“ Damit ist ein verborgenes Thema der Rede angesprochen. Williamson sandte ein Signal an seinen Amtsvorgänger, den jetzigen Finanzminister Philip Hammond, während dessen Amtszeit 2011-14 die Streitkräfte eine Schrumpfkur durchmachten. In diesem Jahr soll der mittelfristige Finanzrahmen festgelegt werden, da will der Verteidigungsminister frühzeitig ein paar Pflöcke einschlagen.
In den kommenden zehn Jahren steht sein Haus mit einem ehrgeizigen Anschaffungsprogramm neuer Waffen im Gesamtwert von 193 Milliarden Pfund (220 Milliarden Euro) im Wort. Der Rechnungsprüfungsauschuss des Unterhauses hat kürzlich errechnet, dass dafür schon jetzt eine Finanzierungslücke von 15 Milliarden Pfund (17,1 Milliarden Euro) besteht. Wo also sparen? Bei den Teilstreitkräften sei dies kaum noch möglich, glaubt der frühere Generalstabschef Lord Richard Dannatt: Großbritannien habe derzeit „die kleinste Armee, Marine und Luftwaffe, die wir je hatten“.
Der jüngsten Statistik zufolge konnte die Regierung Ihrer britannischen Majestät Mitte 2018 auf 136.310 ausgebildete Berufssoldaten zurückgreifen, 6,2 Prozent weniger als es die langfristige Planung vorsieht. Binnen zwölf Monaten hatten fast 3000 Männer und Frauen mehr die Streitkräfte verlassen als neue hinzugekommen waren. Bei Royal Air Force und Royal Navy ist der Schwund weniger stark als bei der Armee. Diese hat das Ziel von 82.480 Vollzeit-Angehörigen zuletzt verfehlt, obwohl schon die Sollzahl so niedrig liegt wie seit den Napoleonischen Kriegen nicht mehr. Im Jahr bis Ende Juni lag die Gesamtzahl der vollständig ausgebildeten Armee-Angehörigen bei 76.880.
Ein britisches Infanterie-Bataillon ist in Estland stationiert, um dem Nato-Verbündeten Solidarität zu signalisieren. Ohnehin betont London stets, die gemeinsame Sicherheit Europas werde auch in Zukunft oberste Priorität genießen. Einen Einsatz der besonderen Art könnte die Armee schon bald an der Heimatfront erleben: Für den Fall, dass es bei einem möglichen Chaos-Brexit Unruhen gibt, hat Minister Williamson 1000 Soldaten zur Unterstützung der Sicherheitskräfte in Aussicht gestellt.

Sebastian Borger

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