Wegen monatelanger Wartezeiten: Gröhe streitet mit Psychotherapeuten über Sprechstunden
Der Gesundheitsminister will, dass künftig jeder Psychotherapeut auch Sprechstunden anbieten muss. So sollen die oft monatelangen Wartezeiten verkürzt werden. Doch die Therapeuten hätten's lieber freiwillig.
Müssen alle Psychotherapeuten ihren Patienten künftig eine Sprechstunde anbieten? Oder dürfen sie sich selber aussuchen, ob sie sich an dem neuen Angebot beteiligen? Um diese Frage dreht sich ein Streit zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Gemeinsamen Bundesausschuss, dem obersten Beschlussgremium von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken im eigentlich selbstverwalteten deutschen Gesundheitswesen.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat dieses Gremium jetzt zu Nachbesserungen verdonnert – weil es den Auftrag des Gesetzgebers, solche Sprechstunden anzubieten, nur als Kann-Leistung definiert hat. „Der Therapeut oder die Therapeutin kann Sprechstunden anbieten und teilt dies sowie die Erreichbarkeit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Information der Patientinnen oder Patienten mit“, heißt es in der vom GBA im Juni geänderten Psychotherapie-Richtlinie. Dadurch, so finden sie im Ministerium, sei der Wille des Gesetzgebers nicht adäquat umgesetzt.
Die Verpflichtung für Psychotherapeuten, künftig auch Sprechstunden anzubieten, findet sich in dem Mitte 2015 in Kraft getretenen Versorgungsstärkungsgesetz. Damit reagierte der Gesetzgeber auf das Problem, dass es hierzulande oft viel zu lange dauert, bis gesetzlich Versicherte bei einer psychischen Erkrankung fachlich versorgt werden. Im Schnitt vergehen bis zum Erstgespräch mit einem niedergelassenen Psychotherapeuten drei Monate, in strukturschwachen Regionen kann das noch deutlich länger dauern. Mit den neuen Sprechstunden-Angebot soll zumindest die Ersteinschätzung deutlich flotter gehen. Binnen weniger Tage, so hieß es, könne dadurch abgeklärt werden, ob eine Psychotherapie nötig ist und wie die Zeit bis zum Therapiebeginn überbrückt werden kann.
Der GBA beschloss daraufhin, den Besuch einer mindestens 50-minütigen Sprechstunde zur „verpflichtenden Voraussetzung“ für jede Weiterbehandlung zu machen. Gleichzeitig stellte er es den Therapeuten aber frei, solche Sprechstunden überhaupt anzubieten. Nur wer mitmacht, muss pro Woche bei vollem Versorgungsauftrag auch mindestens 100 Minuten für Sprechstunden vorhalten. Dem Ministerium ist das zu wenig. Zudem, so Ministerialdirektor Ulrich Orlowski, habe der Bundesausschuss nur über das „Wie“ und nicht über das „Ob“ des Angebots zu entscheiden gehabt.
Pro Jahr beginnen etwa 500.000 Patienten eine Psychotherapie
Bei den Sprechstunden handle es sich „um eine spezifische Leistung, die der Verbesserung der Versorgung dient und die der Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen hat“, heißt es in der Beanstandung, die dem Tagesspiegel vorliegt. Eine Regelung, die es Vertragspsychotherapeuten ermögliche, „ein Leistungsangebot, das für den Zugang der Patientinnen und Patienten zur psychotherapeutischen Behandlung essentiell ist, abzulehnen, kollidiert insoweit mit dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen“.
Gleichzeitig rechnet das Ministerium den Experten vor, dass hierzulande pro Jahr etwa 500.000 Patienten eine Psychotherapie beginnen. Um den Sprechstundenbedarf für diese zu decken sei „rein rechnerisch ein Angebot in der Größenordnung von etwa 10000 Sprechstunden à 50 Minuten pro Woche erforderlich“. Und wenn dieses „Mindestvolumen“ nicht bereits zum Start der neuen Regelung im April 2017 vorgehalten werde, „etwa weil das freiwillige Angebot an Sprechstunden sich erst sukzessive entwickelt, wäre der Zugang der Versicherten zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt“.
Sprich: Es den Psychotherapeuten zu überlassen, ob sie freiwillig Sprechstunden anbieten wollen oder nicht, kommt für das Ministerium nicht in die Tüte. Bis Ende November Zeit hat der Bundesausschuss Zeit, seine Richtlinie zu korrigieren. Zum Unwillen der Therapeuten. Die möchten sich nur ungern verpflichten lassen: Mit freiwilligen Sprechstunden sei man in den Praxen flexibler und könne die jeweiligen Schwerpunkte besser dem Bedarf anpassen, sagt der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz.