Gewalt und Elend im Camp Moria: Griechenland will geschlossene Lager für Flüchtlinge bauen
In den Lagern auf den griechischen Inseln stehen Missbrauch und Gewalt auf der Tagesordnung. Sie sollen geschlossen werden, doch nicht alle begrüßen die Pläne.
Es ist ein Hilferuf aus dem griechischen Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. „Können Sie sich vorstellen, an einem Platz zu leben, an dem Sie ihr Zelt nach 21 Uhr nicht verlassen können, weil Diebe alles stehlen und Sie verletzen werden, wenn Sie nicht alles herausgeben?“, schreibt die Afghanin Parwana aus dem Horror-Lager Moria in ihrem „Letter to the World“, „wo man aus Sicherheitsgründen noch nicht mal alleine zur Toilette gehen kann?“.
Ehrenamtliche Ärzte berichten zudem von sexueller Gewalt und Missbrauch, von Kinderprostitution. Zuletzt gab es wieder einen Todesfall, ein neun Monate altes Baby starb laut Ärzten an extremer Dehydrierung. Während jede Nacht weiter Hunderte Migranten und Geflüchtete in Booten aus der Türkei auf Lesbos anlanden, sucht die griechische Regierung nach neuen Wegen im Umgang mit der Flüchtlingskrise – und verschärft die Asylgesetze.
Die Regierung in Athen plant die drei größten sogenannte Hotspots auf Lesbos, Samos und Chios schrittweise zu schließen. Eigentlich waren sie von der Europäischen Union als Registrierungs- und Asylzentren geplant, de facto sind sie völlig überfüllte und unübersichtliche Elendslager aus Planen und Zelten inmitten von Müll und Fäkalien geworden. Jene Flüchtlinge, die Aussicht auf Asyl haben, sollen künftig aufs Festland in Griechenland gebracht werden.
Die anderen Migranten sollen auf den Inseln in neu zu errichtende „Identifikations- und Abreisezentren“ gebracht und dort bis zu ihrer Ausreise festgehalten werden. Bis zu 18 Monate ist das laut griechischem Gesetz erlaubt.
In jedem dieser neuen Abschiebelager sollen laut Regierungssprecher Stelios Petsas 5000 Menschen Platz finden – in Containerhäusern, mit fließend Wasser, sanitären Anlagen und Strom. Das wäre fast schon luxuriös im Vergleich zu den aktuellen Fluchtlagern. Die geschlossenen Camps sollen eine „klare Botschaft an diejenigen sein, die eine illegale Einreise planen“.
Aus Nordsyrien fliehen wieder mehr Menschen
Die Migranten könnten sich nicht mehr unkontrolliert im ganzen Land bewegen, wenn sie wissen, dass sie keine Aussicht auf Asyl hätten. Die Nachricht richte sich indirekt auch an die Schleuser: Jedem Migranten solle klar sein, dass er sein Geld verlieren werde, wenn er es einem Schleuser gebe, um nach Griechenland zu gelangen. Es gibt auch weniger Rechtsmittel für abgelehnte Asylbewerber, um gegen den Entscheid vorzugehen.
Gegen die großen neuen geschlossenen Abschiebecamps hat der Bürgermeister der Insel Samos Widerstand angekündigt. „Es kann nicht sein, dass wir hier eine ganze Stadt mit Migranten haben“, sagte Georgios Stantzos der dpa. Falls die Regierung in Athen auf den Plänen bestehe, wolle er zurücktreten. Die Regierung habe von einem Lager mit bis zu 1200 Plätzen auf Samos geredet, aber nicht von einem für 5000 Migranten. Samos hat rund 32 000 Einwohner.
Dabei reißt der Strom der Schlauchboote, die zumeist im Schutz der Dunkelheit auf EU-Boden ankommen, nicht ab. Auch aus Nordsyrien fliehen jetzt wieder mehr Menschen. Allein von Mittwoch- bis Donnerstagmorgen gab es auf den Inseln nach Angaben des griechischen Staatsradios (ERT) rund 600 Neuankünfte. Auch auf der Balkanroute gibt es etwa im Lager Vucjak im bosnischen Bihac katastrophale Zustände: Nässe, Kälte, Gewaltausbrüche. Das Lager dient als Nadelöhr auf dem Weg nach Europa.
Seit langem werden die Zustände in den Flüchtlingslagern auf der Balkanroute und in nahegelegenen improvisierten Lagern auch in der Ostägäis beklagt. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete schlafen auf der Straße oder kommen bei dubiosen Männern im Zelt oder in Wohnungen unter, Frauen werden überfallen, hungrige Migranten stehlen den Einheimischen Vieh, weil die Verpflegung nicht reicht. Menschenrechtsorganisationen, das Kinderhilfswerk Unicef, Ärzte ohne Grenzen und die EU-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet kritisieren die traumatisierenden und gefährlichen Zustände.
Fähren wie schwimmende Flüchtlingslager
Mehr als 36 000 Migranten hausen derzeit auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Leros, Kos und Samos.Die Kapazität auf allen griechischen Inseln zusammen beträgt offiziell knapp 6200 Plätze. Athen will bis zum nächsten Jahr 20000 Migranten aufs Festland bringen. Viele versuchen das deswegen auf eigene Faust schon jetzt versteckt oder mit zusammengesparten Tickets wegzukommen, die Fähren wirken oft wie schwimmende Flüchtlingslager.
Der griechische Ableger des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) begrüßte die Maßnahmen im Großen und Ganzen, auch, dass das Personal für die Bearbeitung von Asylanträgen um 500 Beamte aufgestockt werden soll. Es soll künftig auch ein staatlicher Verantwortlicher für die rund 5000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ernannt werden, die es derzeit in Griechenland gibt und von denen laut UNHCR die meisten in prekären Umständen leben.
„Die unbegleiteten Minderjährigen müssen die Hauptaufgabe sein“, sagte Boris Cheshirkov, Sprecher des griechischen UNHCR, der Deutschen Presse-Agentur. Eine gewisse Zahl der traumatisierten Kinder und Jugendlichen verschwinden nach Tagesspiegel-Informationen auf dem griechischen Festland, ob sie weiter unterwegs nach Nordeuropa sind oder etwa Opfer von Verbrechen wurden, ist völlig unklar.
Cheshirkov sieht ebenfalls die Lager skeptisch, in denen Migranten bis zur Ausreise festgehalten werden sollen. „Von jenen, die derzeit auf den Inseln ankommen, sind unseren Schätzungen nach rund 85 Prozent asylberechtigt.“ Es seien vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Kongo.
Das griechische UNHCR fordert von den EU-Ländern Solidarität: „Griechenland hat mehr Flüchtlingsankünfte als Spanien, Italien und Malta zusammen." Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kritisierte die geplanten Lager als „eine dreckige Alternative“. Flucht sei kein Verbrechen, und das Einsperren dieser Menschen sei zutiefst unmenschlich, sagte die innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die Menschen hätten das Recht auf angemessene Unterbringung und ein faires Asylverfahren.
Auf Lesbos begrüßen hingegen seit Jahren in der Flüchtlingshilfe tätige Freiwillige Versuche der Regierung, die inhumanen Zustände in den Griff zu bekommen. Andererseits erwarten sie, dass das Vorhaben, überschaubare und abgegrenzte Lager zu errichten, scheitern wird, weil sich Migranten immer neue und kreative Wege suchen, um Europa zu erreichen, so das weiter improvisierte Camps entstehen werden. Menschen werden sich wohl auch vor den Camps verstecken. Im "One Happy Family Community Center" auf Lesbos heißt es, es habe schon viele Ankündigungen gegeben, die Umsetzungen indes haben anders ausgesehen.
Annette Kögel
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