Deutschland Hauptziel von Asylbewerbern: Grenzschutz hat Grenzen
Wer vor Tod oder Elend flieht, ist nicht abzuhalten. Experten empfehlen deshalb ein Umdenken im Umgang mit Asylbewerbern. Aber wie kann man den Konflikt zwischen Menschen, die einwandern wollen und Staaten, die das ablehnen, lösen?
Deutschland ist nach UN-Angaben unter den Industriestaaten erstmals seit 1999 wieder Hauptziel von Asylbewerbern: 2013 beantragten 109 600 Menschen hierzulande Asyl, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk am Freitag mit. Es folgen die USA mit 88 400 neuen Gesuchen. Die Zahlen stiegen damit um 28 Prozent gegenüber 2012. Erstmals waren Syrer die größte Gruppe, gefolgt von russischen Staatsbürgern, die vermutlich überwiegend aus der autonomen Kaukasus-Republik Tschetschenien stammen.
Illegale Migranten sind politisch gemacht
Wer angesichts des 15-Jahre-Höchststands nur neue Mauern fordert, sei gewarnt: Der Oxforder Migrationsforscher Franck Düvell hat viele Nachbarländer Europas bereist und Migranten befragt. In der Türkei, der Ukraine, Tunesien und in Libyen vor dem Bürgerkrieg: „Alle, die ich traf – es waren mehrere Hundert –, die diesen unbändigen Willen hatten, in die EU zu kommen, haben es auch irgendwann geschafft. Da hat aller Grenzschutz nichts genutzt.“ Düvell sprach in dieser Woche in der Katholischen Akademie in Berlin über Trends weltweiter Migration, allerdings nicht der von Asylsuchenden, sondern der von „Illegalen“. Die Statusgrenzen seien ohnehin fließend, sagte Düvell; Illegalität werde politisch gemacht, weltweit. Sie sei „der Konflikt zwischen Menschen, die einwandern wollen, und Staaten, die das nicht wollen“.
Europas Migrationspolitik hat Fortschritte gemacht
Die Tagung des Katholischen Forums „Leben in der Illegalität“ bietet seit 2004 ein Forum zum Austausch von Wissenschaftlern und Praktikern in NGOs, Verwaltung und Verbänden. Nach zehn Jahren war diesmal auch Platz für einen Rückblick, und der fiel positiv aus: Die Bremer Forscherin Dita Vogel erinnerte in ihrem Vortrag an die Härtefallkommissionen und Altfallregelungen für Migranten, die es seit 2005 gibt. Seit 2009 müssen Kliniken mindestens in Notfällen nicht mehr die Daten von Patienten ohne Papiere an die Ausländerbehörden weitergeben – was Migranten ohne Papiere abschreckte, Hilfe anzunehmen. Ihre Helfer werden seit 2009 nicht mehr bestraft, seit 2011 können sie auch ohne Angst vor Abschiebung gegen ausbeuterische Arbeitgeber klagen. Vor 20 Jahren, so Vogels Bremer Kollege Norbert Cyrus, habe die Politik noch gemeint, ohne Papiere gebe es auch keine Rechte. Ein Wandel, der bis in die CSU reicht, wie zuvor der Altöttinger Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker Stephan Mayer bestätigte.
Die Technisierung der Grenzpolitik schafft mehr Illegalität
Fraglich ist, was das – in Zeiten wachsender Flüchtlingszahlen – praktisch heißt. Eine Vertreterin des Berliner Büros für medizinische Flüchtlingshilfe verwies darauf, dass Illegale noch immer nicht den nötigen Zugang zur Gesundheitsversorgung hätten. In Zeiten mit höherem Bedarf bedeute das: „Die Parallelstrukturen weiten sich aus“, also die ehrenamtlich von Ärzten oder Sozialverbänden organisierten Gesundheitsdienste für Migranten. Die Leiterin der Münchner Ausländerbehörde, Franziska Döbrich, verwies darauf, dass die Technisierung der Grenzpolitik in Zukunft immer mehr Illegalität schaffen werde: EU-weit gespeicherte Fingerabdrücke ließen Einreiseländer rückverfolgen – um dahin abzuschieben. Wen dies erwarte, der tauche ab. Migranten ohne Papiere hätten inzwischen mehr Rechte, resümierte Dita Vogel. Aber es bleibe fraglich, ob sich die Wirklichkeit Illegaler dadurch verändere.
Abwehr, Abschreckung und Kontrolle
Wohl auch, weil die Logik der EU-Grenzpolitik sich nicht ändert: Abwehr, Abschreckung, Kontrolle. Dabei könnte das Geld für immer neue Sicherheitssysteme, ein weiterer Vorschlag des Oxforder Fachmanns Düvell, anderswo effektiver eingesetzt werden: „Viele EU-Nachbarn sind mehr oder weniger autoritär. Die Polizei ist gut ausgebaut, andere Dienste weniger.“ Die EU gebe aber genau dahin Geld. In keinem EU-Nachbarland seien Migranten wirklich geschützt, ihr soziales Elend zwinge sie zum Weiterwandern. Das Geld, das in den Grenzschutz der EU-Nachbarn gehe, „sollte man besser in gute Gesetzgebung und bessere Unterkünfte stecken“.
Andrea Dernbach
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