Für schwerstkranke Patienten: Gras gibt es nun auf Rezept
Merkel will, dass schwerstkranke Patienten in Deutschland mit Cannabis behandelt werden – die Bundesregierung steht kurz vor einer Legalisierung als Medizin, obwohl Hanf nicht immer hilft.
- Antje Sirleschtov
- Ralf Nestler
Lange hat das Zögern gedauert, nun ist klar: Schwerkranke Patienten sollen im besten Fall schon vom nächsten Jahr an Cannabis auf Rezept erhalten können. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), sagte der „Welt“, ihr Ziel sei es, dass in Zukunft mehr Menschen als bisher Cannabis als Medizin bekommen könnten. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte eine Gesetzesänderung an, damit die Kostenübernahme durch die Krankenkassen klar ist. Und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist offenbar dafür. Es sei wichtig, „dass wir für schwerstkranke Patientinnen und Patienten die bestehenden Möglichkeiten des Einsatzes von Cannabis als Medizin ausweiten und verbessern“, schrieb Merkel kürzlich in ihrem Internet-Blog, wies allerdings eine generelle Freigabe deutlich zurück.
Chronisch kranke Schmerzpatienten, die etwa in der eigenen Wohnung Hanfpflanzen anbauen, können derzeit aufgrund der geltenden Gesetzeslage rasch ins Visier von Ermittlern geraten. Besitz, Anbau und Handel sind verboten. Cannabis-Präparate in der Apotheke sind hingegen teuer. Die Kosten werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Gehen Aidskranke oder Krebspatienten den legalen Weg, müssen sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine individuelle Behandlung mit Cannabis beantragen. Ein komplizierter Weg. Bundesweit haben aber weniger als 300 Patienten diese Erlaubnis. Die Kassen beteiligen sich nicht.
Während die Pläne von Minister Gröhe nur auf die Freigabe von Cannabis für Schwerstkranke abzielen, forderte etwa Linksfraktionschef Gregor Gysi eine generelle Cannabis-Legalisierung: „Es ist nicht schlimmer als Alkohol, und Alkohol erlauben wir auch.“ Auch die Grünen plädieren schon geraume Zeit dafür.
Für therapeutische Zwecke wird Cannabis in verschiedenen Formen genutzt. Der Wirkstoff Dronabinol, den meisten eher bekannt unter dem Namen THC, kann als Fertig- oder Rezepturarzneimittel verschrieben werden, weiterhin gibt es den synthetischen THC-Abkömmling Nabilon sowie einen Cannabisextrakt. Die Arznei wird meist als Spray unter die Zunge gesprüht oder kann als Kapsel geschluckt werden. Auch Cannabiskraut kann eingesetzt werden.
Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Cannabis und Cannabinoide bei verschiedenen Krankheiten wirken. So reduzieren die Stoffe bei Multipler Sklerose die Spastik, Spasmenhäufigkeit und verbessern die Schlafqualität signifikant. Weiterhin helfen sie bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie, wie eine Übersichtsarbeit im „Deutschen Ärzteblatt“ zeigt. Besonders wirksam zeigen sich Cannabisprodukte bei chronischen neuropathischen Schmerzen, also schmerzhaften Nervenschädigungen, und wirken zudem appetitanregend und entzündungshemmend. Auch bei der Behandlung von Tics beim Tourette-Syndrom wurden Erfolge erzielt, schreiben Franjo Grotenhermen und Kirsten Müller-Vahl von der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) im Ärzteblatt.
Ein Allheilmittel sind die Substanzen jedoch nicht. Immer wieder gibt es Patienten, bei denen eine Therapie nicht anschlägt. Bei akuten Schmerzen zum Beispiel sind sie praktisch nicht wirksam. Gerade was den langfristigen Einsatz betrifft, ist die Datenlage dünn. Und es gibt Nebenwirkungen – über den rauschhaften Zustand hinaus, der nicht in jedem Fall erwünscht sein dürfte. So können Cannabinoide bei gefährdeten Menschen das Herzinfarktrisiko steigern. Die teils schwerwiegenden Schädigungen der Gedächtnisleistung und der Psyche, die bei einigen Langzeit-Konsumenten („Dauerkiffer“) beobachtet werden, sind nach Ansicht von Fachleuten beim Einsatz an Patienten nicht zu erwarten. Dafür sei die Dosis zu gering. Allerdings ist mittlerweile klar, dass gerade Jugendliche durch Cannabis in ihrer psychischen Entwicklung gestört werden können. Daher sollte eine Langzeitbehandlung in diesem Alter sorgfältig abgewogen werden, argumentieren Grotenhermen und Müller-Vahl. (mit dpa)