Polizei-Übergriff gegen jugendliche Flüchtlinge: Gewalt gegen die einen regt auf, gegen die anderen nicht
Das offenbar überharte Vorgehen der Polizei in einer Wohngruppe für unbegleitete Flüchtlinge wird – im Gegensatz zu Ellwangen – einfach hingenommen. Eine Kolumne.
Vor einigen Wochen zeigte sich der Bundesinnenminister empört, als sich Geflüchtete gegen eine Abschiebung miteinander solidarisierten. Sie hätten Polizisten bedrängt und auf die Einsatzfahrzeuge eingeschlagen, hieß es hinterher. Es wurde über „rechtsfreie Räume“ diskutiert.
Die Empörung bleibt offensichtlich aus, wenn die Polizei Gewalt gegen Geflüchtete einsetzt. Laut Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfe Verbundes Berlin Brandenburg (KJHV) traten Beamte der Berliner Polizei die Tür einer „sozialpädagogischen Jugendwohngruppe für unbegleitete Flüchtlinge“ ein. Die Polizei klingelte nicht, sie trat die Tür ein.
Eine Betreuerin hätte der Polizei genau beschrieben, in welchem Zimmer der Jugendliche lebte, dessen Wohnraum durchsucht werden sollte. Die Beamten brachen aber in ein anderes Zimmer ein und warfen einen anderen Jugendlichen zu Boden und „schlugen mit Schlagstöcken auf Rücken und Schultern ein und verrenktem ihm den Arm. Er wurde über den Flur geschleift und ein Notarzt versorgte ihn kurze Zeit später.“ So steht es im Wortlaut in der Stellungnahme, die die Sicht der Betreuer und Jugendlichen darstellen will. Ist solches Vorgehen kein Schlag ins Gesicht des Bundesinnenministers? Zumindest hat er sich noch nicht dazu geäußert, ebenso wenig der Senat von Berlin.
Gewaltmonopol aus gutem Grund
Gewalt gegenüber den einen ist anscheinend weniger empörend als Gewalt gegenüber den anderen. Dabei ist der menschliche Körper immer versehrbar, ganz gleich welche Farbe die Haut hat, die ihn umhüllt und ganz gleich, wo dieser Körper herkommt und weshalb er hier ist. Die Körper reagieren, abgesehen von den Unterschieden von Mensch zu Mensch, ähnlich auf Schlagstöcke oder Fausthiebe: mit Verrenkungen und Brüchen. Die Psyche der meisten Menschen erleidet Traumata bei Gewalt.
Die vornehmliche Aufgabe der Polizei als Organ des Staates ist es, Gewalt abzuwenden und Menschen zu schützen. Deshalb liegt beim Staat das Gewaltmonopol. Viele Staaten setzen ihre Polizei oder andere Sicherheitskräfte aber nicht zum Schutz der Menschen auf ihrem Territorium ein, sondern zu ihrer Einschüchterung. Oder sie dulden die Gewalt ihrer Behörden gegen Unschuldige. In solchen Fällen spricht man von Menschenrechtsverletzungen.
Es ging noch weiter
Leider war die Arbeit der Berliner Polizei noch nicht beendet, nachdem sie den ersten Jugendlichen malträtiert hatte. Die Polizisten drangen auch in das Zimmer des zweiten Jugendlichen, so heißt es weiter: „Sie rissen ihn aus dem Bett und schleuderten ihn in den danebenstehenden Schrank mit Glastür. Die Glastür zerbrach und der Jugendliche erlitt mehrere tiefe Schnittwunden am Arm, die stark bluteten. Er wurde auf den Bauch gedreht und mit Handschellen fixiert. Danach fragten die Beamten nach seinem Namen.“
Sie schlugen erst und fragten dann. Ihre Gewalt war so folgenreich, dass der Jugendliche sofort ins Krankenhaus eingeliefert und zwei Mal operiert werden musste, wobei Glassplitter aus seinem Arm entfernt wurden. Die größte Schnittwunde habe die Länge von 15 Zentimeter gehabt. Hätte die Polizei ihn gleich nach dem Namen gefragt, wäre dem Jugendlichen dieser Exzess erspart geblieben – sein Ausweis lag, laut der Kinder- und Jugendhilfe, auf dem Tisch. Der dritte Jugendliche, also der, dem die Durchsuchung eigentlich galt, zeigte sich kooperativ. Die Haut der Menschen, gleich welcher Farbe, reagiert ähnlich auf herabfallende Glasscherben: mit Schnittwunden. Aber einen Unterschied gibt es doch. Die einen Körper werden geschützt.
Deniz Utlu