Hebron: Geteilt durch Mauern und Hass
Sigmar Gabriels drastischen Schilderungen aus Hebron haben dem SPD-Chef viel Ärger eingebracht. Doch wie ist die Lage in Hebron wirklich? Es ist eine Stadt der Extreme und der Extremisten – gleichzeitig symbolisch und atypisch für Israels Besatzung.
Hebron ist Juden und Moslems heilig. Die Stadt der gemeinsamen Vorväter ist heute geteilt wie keine andere Stadt im Nahen Osten: gewaltsam, brutal, ungerecht. Und das obwohl beide Konfliktseiten, Israelis und Palästinenser, vor rund 15 Jahren ein Teilungsabkommen unterzeichneten.
Es ist vor allem gegenseitiger Hass, der Hebron teilt, nicht nur Mauern und Stacheldraht. Es ist eine Stadt der Extreme, vor allem aber der Extremisten. Deshalb ist Hebron zwar einerseits Symbol, andererseits aber auch atypisch für die israelische Besatzung. Von Hebron darf nicht auf das gesamte Westjordanland geschlossen werden. Nirgendwo sonst in den gesamten palästinensischen Gebieten (Gazastreifen und Westjordanland) lebten Israelis und Palästinenser so eng beieinander – bis Hebron getrennt wurde.
Die Stadt mit ihren rund 200 000 Einwohnern präsentiert sich als ein Ghetto. Doch nicht die paar hundert jüdischen Siedler leben in einem Ghetto, sondern die Palästinenser. Gemäß Abkommen sind sie zwar keineswegs rechtlos, doch in Hebron gilt in der Praxis allein das Recht des Stärkeren, also der Besatzungsmacht, der Siedler.
Diese haben nicht nur das Sagen in ihrem großen Stadtteil, sondern schikanieren ihre palästinensischen Nachbarn auch über Grenzzaun und Stacheldraht hinweg. Und sie verfügen über eine machtbewusste, skrupellose politische Lobby. Nicht nur Rechtsregierungen wie die gegenwärtige unter Benjamin Netanyahu, auch durchaus gemäßigte „linke“ Regierungen wie seinerzeit unter Yitzhak Rabin verpassten daher einzigartige Gelegenheiten, die damals noch erheblich weniger Siedler aus der Stadt zu entfernen und damit die schwierige Situation zu entschärfen.
Der Nahostkonflikt ist einer der dramatischsten unserer Zeit. Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Warum ist das so? Eine Chronik.
Im israelischen Teil Hebrons und darüber hinaus herrschen auch heute nicht die Jerusalemer Regierung, sondern fanatische Siedlerführer wie Baruch Marzel und Itamar Ben-Gvir. Sie gaben nicht nur früher den rüden Ton an: „Wir hassen Hunde, Araber und Deutsche.“ Im Laufe der Jahre mäßigten sie allerdings ihre Rhetorik um gleichzeitig ihre Gewaltbereitschaft gegenüber den Palästinensern zu verschärfen. Immer wieder beklagen sich auch israelische Reservisten über die Hebron-Siedler. Eigentlich sind die Soldaten zu deren Schutz abgestellt, doch oft müssen sie stattdessen die Palästinenser schützen und werden von den Siedlern dafür verachtet und bekämpft. „Kleinere“ Untaten der Siedler sind an der Tagesordnung, bleiben aber unbestraft: Steinwürfe auf palästinensische Nachbarshäuser, Verfluchungen von Frauen und Mädchen als Huren, Erniedrigung, Demütigung. Hebrons moderne Geschichte ist von Massenmorden, Terroranschlägen und Pogromen gekennzeichnet, palästinensischen und jüdischen. Sie gegeneinander aufzurechnen löst kein Problem – es schafft neue.
Vor fast genau 44 Jahren, im Jahr nach dem Sechstagekrieg 1967, begann das neuzeitliche Unglück der Stadt, das drei Jahrzehnte später zu ihrer unmenschlichen Trennung führte. Damals ließ sich der deutschstämmige Rabbiner Mosche Levinger mit einigen Anhängern als „Schweizer Touristen“ zum Pessach-Fest in einem Hotel in Hebron nieder und weigerte sich, dieses danach zu verlassen, bis er gewaltsam entfernt wurde. Seither gilt er als „Erster Siedler“, als „Vater der Siedler“.