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Angela Merkel zitterte
© REUTERS

Zittern bei Angela Merkel: Gesundheitliche Schwäche ist in der Politik tabu

Gerüchte über Krankheiten können in der Politik das Karriere-Ende bedeuten. Der Psychologe Thomas Kliche erklärt, warum Betroffene lieber schweigen.

Herr Kliche, Angela Merkel hat den Ruf als verlässlich und bodenständig. Steht sie deshalb unter einem besonders kritischen Blick?

Teilweise. Im Wahlkampf hat sie einst diesen Schlüsselsatz gesagt: Sie kennen mich. Damit meinte sie einen psychologischen Vertrag, den sie mit ihren Wählerinnen und Wählern hat. Ein Vertrag, der Ruhe, Zuverlässigkeit, der Problemlösung und des sachlichen Pragmatismus. Und dazu gehört natürlich eine große Stetigkeit als Person und auch eine hohe Verbindlichkeit dieses Angebots. Wenn jemand erkrankt, fällt diese Sicherheit erstmal weg oder sie wird zumindest in Frage gestellt.

Warum beunruhigt es uns so sehr, wenn Politiker körperliche Schwäche zeigen?

Da geht es nicht nur um Politiker, sondern um unsere Erfolgskultur. Unsere Gesellschaft hält für wertvoll, dass sich eine Person durchsetzen kann. Politiker müssen das gewissermaßen als Hauptberuf. Sie sollen Bündnisse bauen, zuverlässig sein und bereit für Konflikte. Viele Wähler sehnen sich nach einem Rundum-sorglos-Paket. Krankheiten passen da nicht gut rein. Dabei sind Politiker gerade im Bereich der Süchte durch den Dauerstress einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Das reicht vom kettenrauchenden Bundestagsabgeordneten bis zum Kommunalvertreter, der mit einer Fahne zum Termin kommt. Bei körperlichen Problemen hat sich in den vergangenen Jahren schon mehr Offenheit entwickelt, aber alles im Bereich der Psyche ist weiterhin tabu.

Warum wird gerade da geschwiegen?

Psychische Erkrankungen machen die Person vermeintlich schwer berechenbar. Es herrscht das alte Bild vom Verrückten, der irrationale Entscheidungen trifft. Ein solcher Ruf wäre für die Karriere von Menschen mit Macht und Einfluss verheerend. Für die Wähler ist Vorstellung vom Irren am roten Knopf eine recht unschöne Vorstellung.

Welche Rolle spielt dabei die Angst vor dem politischen Gegner? Der könnte solch eine Krankheit doch ausschlachten.
Das wird die Konkurrenz nicht tun. Jemand, der einen Politiker wegen seiner Krankheit offen angreift, wird so armselig und widerlich dastehen, dass der Preis viel zu hoch ist. Sowas tut man nicht. Aber es ist auch nicht nötig. Es würde im Internet so viele Anfeindungen geben, in denen die Handlungsfähigkeit des Politikers in Frage gestellt wird, dass der politische Gegner gar nichts zu sagen braucht.

Aber entwickelt sich auf sozialen Medien nicht gerade der Trend, dass Politiker mehr Menschlichkeit und Nähe zeigen?

Da entsteht nur künstliche Menschlichkeit, eine gefilterte und hergestellte Nähe. Für diese Selbstdarstellung gibt bei Bedarf sogar Coaching. Was wir da vom Menschen sehen, ist keine Person, sondern ein Bild, das dazu gebaut ist, um funktional Anhänger anzusprechen. Wer bunte Bildchen von Leuten sieht, die mit Hunden joggen oder in ihrer Küche kochen, kennt die als Person doch überhaupt nicht. Dafür muss man einen Menschen unter Belastung erleben und gerade das sind nicht die Inhalte von Twitter oder Facebook.

Werden Politiker und Politikerinnen je nach Geschlecht unterschiedlich streng beurteilt?
Insbesondere an Männer gibt es eine Erwartung der Selbstbeherrschung. Viele Wähler haben immer noch konventionelle Vorstellung: Da soll der Mann ein bisschen wie der einsame Cowboy auftreten. Das ist auch ein Grund, warum Männer seltener zum Arzt und zu Vorsorge-Untersuchungen gehen. Gleichzeitig kann es aber gerade deshalb als Akt der Stärke und Ehrlichkeit vermittelt werden, wenn ein Politiker sagt: Ich bin krank, aber ich werde das in den Griff bekommen

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