Aggression im Wahlkampf: Gesucht: Das Gegengift für Hass
Kandidaten werden ausgepfiffen, manche sogar angegriffen. Der Hass in diesem Bundestagswahlkampf verlangt nach Lösungen. Ein Kommentar.
Eine Statistik sollte in den Analysen nach der Wahl nicht untergehen. Sie gehört nicht zum Standardrepertoire, dabei könnte sie zum Fürchten sein. Es ist die Summe der Angriffe auf Wahlkämpfer, gleich ob Kandidaten selbst oder ihre Unterstützer und ihre Einrichtungen. Denn die Aggressivität in diesem Wahlkampf lässt sich weder schnell vergessen noch verdrängen.
Die Trillerpfeifen und Beschimpfungen bei den Auftritten von Spitzenpolitikern wie der Bundeskanzlerin werden lange nachhallen. Die Frustrierten haben im Wahlkampf wohl noch nie so sicht- und hörbar auf sich aufmerksam gemacht wie diesmal. Ihre Pfiffe und Schreie wirkten wie Anfeuerungen für all jene, die darüber hinausgingen, die Politiker und ihre Mitarbeiter beleidigt, bepöbelt, bespuckt haben. Die handgreiflich geworden sind oder etwas zerstört haben.
Bis zum 13. September zählte das Bundeskriminalamt (BKA) 2250 Straftaten mit Bezug auf den Bundestagswahlkampf. Dreiviertel davon waren Sachbeschädigungen. Die Zahl der Gewaltdelikte liegt bislang im hohen zweistelligen Bereich. Das BKA erklärt, dass zunehmend auch die AfD Opfer von Straftaten werde. Das zeigt, dass die Gewalt aus unterschiedlichen Richtungen kommt. Das können auch türkischstämmige Politiker berichten, die Erdogans Regime kritisieren.
"Es ist härter geworden."
Wie viele Straftaten tatsächlich begangen wurden, lässt sich erst Anfang des nächsten Jahres sagen, wenn alle Zahlen zusammengefügt worden sind. Diese Auswertung wird hoffentlich nicht untergehen. Denn es gibt viel zu analysieren. Die Beantwortung der beiden entscheidenden Fragen Warum? und Was tun? steht erst am Anfang.
Ein Satz, der auf jeden Fall in den vergangenen Wochen ständig zu hören war, lautet: „Es ist härter geworden.“ Wahlkampf ist nichts für Harmoniebedürftige. Man kann sich aber fragen, ob nicht gerade dieser einen fatalen Beitrag dazu geleistet hat, politisches Engagement von Menschen zu ersticken. Weil sich motivierte Menschen fragen, ob es den Aufwand überhaupt wert ist. Ob sie sich und ihre Familien wirklich massiven Anfeindungen aussetzen wollen, die sie persönlich erfahren oder die auf sie im Internet einprasseln.
Mit Personenschutz für Kandidaten, mit Soforthilfe für Abgeordnete nach Angriffen auf Büroräume, wie beispielsweise in Sachsen möglich, werden allenfalls die Symptome bekämpft. Der Betrieb kann dadurch kurzfristig aufrechterhalten werden. Doch das mildert nicht das politische Klima und trägt auch nicht zur Versachlichung der Debatten bei.
Gespräche, immer wieder Gespräche
Es muss vielmehr gelingen, die Entfesselten wieder einzufangen, ihnen das Gefühl zu nehmen, sie handelten in einem Auftrag und hätten furchtbar viele Sympathisanten für ihre hasserfüllten Taten. Politik soll nahbarer und verständlicher werden, aber wie kann sie das, wenn sie auf eine Wand aus Roh- und Sturheit prallt?
Dennoch bleibt wohl nicht viel anderes übrig, als immer wieder Gespräche zwischen Politik und Bürgern anzubieten. Gespräche in einem geschützten Raum. In kleineren und größeren Runden, in Townhall-Meetings. Da findet jeder Gehör. Und wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus.
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