Traumatische Erinnerungen: Geschlagen und ans Bett gefesselt
Auch Behinderte litten früher in Kinderheimen – doch beim Fonds „Heimerziehung“ gehen sie leer aus. Ein fatales Versäumnis soll nun geheilt werden.
Für K. war es eine Hölle: Zwischen seinem achten und elften Lebensjahr war der geistig behinderte Junge im Vincenzhaus in Cloppenburg untergebracht. Er erhielt nach eigenen Schilderungen Schläge mit dem Handfeger, wurde für kleinste „Verfehlungen“ mit Essensentzug bestraft. Weil er sich in der Kirche einmal umdrehte, bekam er eine Manschette um den Hals. Er wurde ans Bett angeschnallt. Nicht viel besser erging es ihm zwischen 1970 und 1972 bei einem späteren Aufenthalt im Gertrudenheim Oldenburg, wo Hilfspfleger „Bruder Martin“ die Zöglinge mit harter Hand anfasste. Bis heute belasten K. die Erinnerungen an diese Zeit. Als 2012 der Heimkinderfonds aufgelegt wurde, beantragte der Betreuer von K. beim zuständigen Landkreis Vechta daraus Leistungen für den heute 55-Jährigen. Doch der Antrag wurde abschlägig beschieden. Begründung: Zugang zu Leistungen des Fonds „Heimerziehung“ hätten nur diejenigen, die aufgrund von Jugendhilfeleistungen in Kinderheimen untergebracht wurden. Behinderte aber wurden in der Regel auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes eingewiesen. Das heißt: Die Opfergruppe, die ohnehin schon schlechter gestellt war und vermutlich besonders perfiden Übergriffen in den Heimen ausgesetzt war, geht leer aus.
Bereits Anfang 2013 hatte der Petitionsausschuss des Bundestags auf dieses Problem aufmerksam gemacht und der Bundesregierung einen anderen Lösungsweg vorgeschlagen: Die behinderten Heimkinder sollten über das Opferentschädigungsgesetz (OEG) bedacht werden, was bisher nicht oder nur unter Voraussetzungen möglich ist, die so gut wie kein Betroffener erfüllt. Denn für Fälle vor Inkrafttreten des Gesetzes 1976 kämen unter anderem überhaupt nur Behinderte in den Genuss von Leistungen, deren Schwerstbehinderung auf die Behandlung im Heim zurückzuführen ist. Behinderte in der früheren DDR wären gar nicht erfasst. Das aber geht am Kern des Problems vorbei. Selbst die Kirchen mahnen seit langem, Betroffenen aus der Behindertenhilfe und Psychiatrie ein Hilfsangebot nach dem Muster des Fonds Heimerziehung zu machen. Passiert ist so gut wie nichts. Hubert Hüppe, der in der vergangenen Legislaturperiode Behindertenbeauftragter der Bundesregierung war und seit Herbst für die CDU im Bundestag sitzt, ist noch immer verärgert über „das Hin und Her“ in dieser Frage. Als es darum ging, diese Opfergruppe in den Heimkinderfonds aufzunehmen, hätten sich alle gewunden: Die Länder wollten nicht zahlen, weil sie meinten, der Bund sei dafür zuständig, der Bund sah die Länder am Zug. Alle schienen überfordert von der Situation zu sein, dass nach den Fällen in der alten Bundesrepublik auch noch eine Lösung für die inzwischen aufgetauchten Berichte über Repressionen in DDR-Kinderheimen zu finden war. Da seien die Behinderten die Opfergruppe mit der schwächsten Lobby gewesen, erinnert sich Hüppe. Er habe immer wieder auf das Problem aufmerksam gemacht. Schließlich sei eine Studie in Auftrag gegeben worden, dann eine zweite. Das war es aber dann. Hüppe nennt es „völlig absurd“, einen Unterschied zwischen behinderten und nicht behinderten Heimkindern zu machen. Überall werde über Inklusion geredet, aber es gebe kein gravierenderes Beispiel für noch vorhandene Trennung wie bei diesem Thema. Dabei könne man das „von heute auf morgen“ machen. Doch so schnell scheint es dann doch nicht zu gehen. Zwar richtete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales inzwischen eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein. Sie sucht nach Angaben einer Ministeriumssprecherin „intensiv an einer Lösung, um für Betroffene, die als Kinder und Jugendliche in Heimen der Behindertenhilfe und stationären psychiatrischen Einrichtungen Unrecht erfahren haben, eine Regelung zu finden“. Die Arbeitsgruppe halte „vor der Einleitung weiterer Schritte die Herstellung einer belastbaren Datenlage (Zahlen zu eventuell Betroffenen und Einrichtungen) für erforderlich“. Erste Ergebnisse werden aber wohl erst in Monaten vorliegen. Dass Handlungsbedarf besteht, wurde bei der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe von niemandem infrage gestellt. Eine Schlechterstellung Behinderter gegenüber den vom Heimkinderfonds Begünstigten müsse „auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention vermieden werden“, heißt es im Sitzungsprotokoll, das dem Tagesspiegel vorliegt. Einig ist man sich offenbar auch, dass "das zu schaffende Leistungsspektrum im Wesentlichen analog zum Leistungskatalog der bestehenden Fonds ausgestaltet werden soll". Das heißt, dass es neben der Finanzierung von Maßnahmen zur Aufarbeitung des erlittenen Unrechts auch um individuelle Leistungen wie Rentenersatzleistungen und Sachleistungen geht.
Die Arbeitsgruppe drängte zudem auf eine möglichst präzise Bedarfsermittlung in den Bundesländern. Eine ähnliche Blamage wie bei der Erstausstattung des Heimkinderfonds Ost, wo ursprünglich 40 Millionen Euro veranschlagt wurden und nun 200 Millionen Euro nachgeschossen werden müssen, will man wohl nicht noch einmal erleben.
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