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Die Westbalkankonferenz auf Einladung Österreichs in Wien.
© dpa

Westbalkan-Konferenz: Gemeinsame Politik gegen Flüchtlinge

Dass Deutschland so wenig Flüchtlinge registriert, hat es jener restriktiven Politik Österreichs und der Balkanstaaten zu verdanken, die es selbst kritisiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Realpolitik – das klingt schal, denn eine Politik, die sich vor allem an dem orientiert, was ist, und kaum an dem, was sein sollte, gilt als prinzipien- und wertefrei. Mit der Hoffnung auf eine immer bessere Welt und die Herrschaft des Rechts, vor allem der Menschenrechte, ist Realpolitik meist nicht vereinbar. Manchmal aber erweist sie sich einfach als der kleinste gemeinsame Interessennenner, wenn momentan mehr nicht zu erreichen ist. Genau auf dieser Basis versuchen die zehn Staaten Politik zu machen, die sich auf österreichische Einladung in Wien jetzt zu einer Westbalkan-Konferenz versammelten – eine gemeinsame Flüchtlingspolitik wollen sie formulieren, oder, genauer: eine weitgehende Flüchtlingsverhinderungspolitik.

Allen gemeinsam ist, dass sie sich im Süden gegen Griechenland abschotten wollen, das EU-Mitglied, das jahrelang desinteressiert die Asylsuchenden nach Europa durchwinkte und dabei auch noch rüde behandelte. Deshalb findet es heute kaum Partner bei der Konfliktlösung, sondern wird selbst als Problem empfunden. Somit ist Griechenland auch nicht nach Wien eingeladen worden, obwohl seine lange Küstenlinie kaum überwachbar ist. Realpolitik eben, denn die zehn Konfidenten in der österreichischen Hauptstadt werden eines mit Sicherheit vereinbaren: Sie lassen nur noch wenig Asylsuchende einreisen.

Folge eines Dominoeffekts

Dass sie damit durchkommen, ist die Folge eines Dominoeffekts. Bis zur österreichisch-deutschen Grenze im Norden des Balkan gibt es an jeder Nahtstelle zwischen Staaten Zurückweisungen oder Zäune. Dass Deutschland heute täglich so wenig Flüchtlinge wie seit Monaten nicht mehr registriert, hat es also genau jener restriktiven Politik zu verdanken, die es selbst so kritisiert. Deutschland musste seine Grenze nach Österreich bisher nicht schließen, weil andere Staaten ihre Grenzen undurchlässiger machten. Man kann den österreichischen Außenminister verstehen, wenn er die Regierung in Berlin auffordert, sich klar zu positionieren: Deutschland solle sagen, ob es noch Flüchtlinge aufnimmt oder nicht, und wenn ja, wie viele. Österreich vorzuwerfen, dass es nur 3200 Asylsuchende durchlässt, reicht nicht. Oder lautet der Vorwurf etwa im Gegenteil, dies sei zu viel, weil es sich im Laufe eines Jahres ja wieder auf eine Million hochaddierte?

Deutschland und die anderen Europäer müssen sich entscheiden, wie es weitergehen soll. Faktisch hat das lange Ton angebende EU-Land durch Aufnahme von einer Millionen Flüchtlingen in wenigen Monaten die ganze Europäische Union entlastet und die politisch und gesellschaftlich fragilen Balkanstaaten vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Hoffnung, andere Mitgliedsstaaten von einer Kontingentlösung überzeugen zu können, hat sich aber als Illusion erwiesen. Ungarn will nun gar per Volksabstimmung Kontingente verhindern. Aber die Realität ausblenden per Wählervotum, das funktioniert nicht. Selbst wenn der Pakt mit der Türkei gelingt, und sie sich als Flaschenhals für die Flüchtlingsströme zur Verfügung stellt, werden weiter zehntausende Menschen auf der Suche nach Frieden anklopfen. Dann werden sie nicht über Griechenland kommen, sondern Italien, Südfrankreich oder Spanien. Sie werden weder in Rom noch Madrid, Wien oder Paris fragen, ob sie erwünscht sind. Sie werden da sein und uns durch ihre schiere Präsenz zwingen, die Augen zu öffnen. Auch das ist Realpolitik.

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