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Der türkische Präsident Erdogan. Wer ist der geheimnisvolle Informant in seinem Umweld?
© dpa

Maulwurf im Umfeld Erdogans: Geheimnisvoller Informant schürt Panik in der Türkei

Er nennt sich Avni, niemand weiß etwas über ihn, aber er weiß offenbar alles: Avni veröffentlicht immer wieder Interna aus dem Umfeld des türkischen Präsidenten Erdogan. Jetzt erschütterten seine Mitteilungen das ganze Land.

Niemand kennt sein Gesicht, niemand weiß, wer er wirklich ist, selbst sein Name Fuat Avni ist erfunden. Und doch ist Avni eine der mächtigsten Persönlichkeiten der Türkei. Er beschreibt sich selbst als Mitglied des inneren Kreises um Präsident Recep Tayyip Erdogan, der die Öffentlichkeit auf undemokratische Praktiken der Führung aufmerksam machen will. Schon mehrfach hat Avni seinen rund 520 000 Anhängern auf Twitter äußerst korrekt bevorstehende Polizeiaktionen gegen Regierungsgegner vorausgesagt. Jetzt erschütterten neue Mitteilungen des Unbekannten über die angeblich geplante Festnahme von 150 Journalisten das ganze Land. 

Avni muss Zugang zu vertraulichen und detaillierten Planungen von Regierung und Polizei haben, denn viele seiner Voraussagen in den vergangenen Monaten trafen genau ins Schwarze. Häufig informierte Avni mit großer Genauigkeit über bevorstehende und dann auch ausgeführte Säuberungen im türkischen Polizeiapparat, der nach Überzeugung der Regierung von Anhängern des islamischen Predigers Fetthullah Gülen unterwandert ist. Vor einem Jahr, am 17. Dezember, gingen Gülen-freundliche Istanbuler Staatsanwälte mit Korruptionsvorwürfen gegen Erdogans Regierung an die Öffentlichkeit. Ankara reagierte mit Massenversetzungen und Entlassungen in Justiz und Polizei. 

Erdogan wirft Gülen den Aufbau „paralleler Strukturen“ im Staat und Putschabsichten vor; die Opposition spricht dagegen von Versuchen Erdogans, seine Macht auf Institutionen wie Justiz und Polizei auszudehnen, die in einer Demokratie unabhängig sein sollten. 

Das „Twitter-Phänomen“, wie Avni von Medien und Politikern genannt wird, stimmt der Opposition in dieser Einschätzung zu. In seinen Tweets nennt Avni den Präsidenten nie beim Namen, sondern bezeichnet Erdogan als „Tiran“, als Tyrannen. 

Am Donnerstag meldete Avni, Erdogan und einige enge Berater hätten beschlossen, rund 400 Personen aus der Gülen-Bewegung festnehmen zu lassen. Darunter seien Unternehmer, aber auch etwa 150 namhafte Journalisten wie die Chefredakteure der Gülen-nahen Zeitungen „Zaman“ und „Today’s Zaman“ sowie der regierungskritischen „Taraf“. Auch die Namen prominenter Kolumnisten wie der des Enthüllungsjournalisten Mehmet Baransu von „Taraf“ standen demnach auf der Liste. Eine solche Abrechnung Erdogans mit Gülen und anderen Gegnern wird seit langem erwartet. 

Die Wirkung von Avnis Tweets ließ nicht auf sich warten. Selbst Vizepremier Bülent Arinc erklärte, er wisse zwar nichts von geplanten Festnahmen, doch müssten Avnis Voraussagen ernst genommen werden. Vor dem Redaktionsgebäude von „Zaman“ in Istanbul versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einer Solidaritätsdemonstration. Drinnen warteten die Journalisten auf die Polizei. 

Sie warteten vergebens. Am späten Donnerstagabend tweetete Avni, Erdogan habe die Festnahmeaktion abgeblasen, weil sie vorzeitig bekannt geworden sei. Die für die Festnahmen gebildeten Polizeitrupps seien aufgelöst worden. Niemand weiß, ob das wirklich so war oder ob Avni zuerst grundlos Aufregung verbreitete, um sie dann selbst wieder zu beenden. Doch die Panik zeigte, wie einflussreich Avni ist – und demonstrierte, dass viele Menschen in der Türkei ihrer Regierung inzwischen so ziemlich alles zutrauen.

Thomas Seibert

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