Interview mit Thomas Oppermann: „Gegen Altersarmut helfen gute Arbeit und hohe Löhne“
Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann im Gespräch über den Streit um das richtige Rentenkonzept, den Regierungskurs in der Schuldenkrise und die Kandidatendebatte in seiner eigenen Partei. Und über seine gute Laune.
Herr Oppermann, Sie gelten im Bundestag als auffällig gut gelaunter Politiker. Ist Opposition, anders als Franz Müntefering einmal meinte, doch kein Mist?
Opposition ist für uns immer die Zeit vor der Regierung. Ich freue mich auf die Regierungszeit, das macht mir gute Laune.
Noch ist es aber nicht so weit. Die SPD muss erst mal einen Kanzlerkandidaten finden. Warum treten Sie eigentlich nicht an?
Wir haben drei ausgezeichnete Anwärter und einen Fahrplan, der vorsieht, dass wir uns erst über wichtige Inhalte verständigen und dann den Kanzlerkandidaten küren. Sigmar Gabriel wird zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Vorschlag machen.
Immer mehr Sozialdemokraten fordern, nicht so lange zu warten, sondern der Kanzlerin sofort mit einer Person Paroli zu bieten.
Wir sind immer in der Lage, der Kanzlerin Paroli zu bieten. Unser Zeitplan ist richtig.
Die Grünen bestimmen ihren Kandidaten in einer Urwahl. Warum gibt es bei Ihnen keinen Mitgliederentscheid?
Das macht nur Sinn, wenn mehrere Kandidaten sich um den Posten streiten. Wir werden aber eine einvernehmliche Lösung finden. Unser Kandidat wird sofort die volle Unterstützung der ganzen Partei haben.
Auf die Gefahr hin, Ihre gute Laune zu trüben: Die Umfragewerte der Union steigen, die der SPD stagnieren bei unter 30 Prozent. Warum?
Wir wollen Schwarz-Gelb gemeinsam mit den Grünen ablösen. Wir werden zulegen. Unser Ziel ist es, auf 30 plus x zu kommen …
Für Rot-Grün reichen 30 plus x aber nicht, auch wenn die Grünen 13 Prozent holen. Mit wem wollen Sie regieren?
Es gibt einen stabilen Trend: Schwarz- Gelb hat in allen Umfragen seit Jahren keine Mehrheit mehr. Die SPD dagegen hat in allen wichtigen Fragen eine klare Mehrheit für ihre Forderungen. Denken Sie an den Mindestlohn, die Frauenquote, den Ausbau der Ganztagsschulen, den Widerstand gegen das absurde Betreuungsgeld. Jetzt geht es darum, die Mehrheit für unsere Konzepte bis zum Wahltag in eine politische Mehrheit zu verwandeln.
Wie soll das gehen?
Wir werden deutlich machen: Deutschland steht nur deshalb so gut da, weil Rot-Grün vor zehn Jahren einschneidende Reformen durchgesetzt hat. Die Regierung Merkel verzehrt dagegen leistungslos die Früchte rot-grüner Reformarbeit. Sie tut überhaupt nichts, um uns auf die Zukunft vorzubereiten.
Auf all diese Erfolge ist die SPD doch gar nicht stolz. Bei welchem Sozialdemokraten löst die Agenda 2010 denn Jubelstürme aus?
Jeder weiß: Unsere Reformen haben viel Kraft gekostet, aber sie haben Deutschland modernisiert und stark gemacht. Darauf sind alle Sozialdemokraten stolz. Natürlich gibt es auch Korrekturbedarf an einigen Punkten. Politik ist nie fertig. Neue Gerechtigkeitsdefizite in unserer Gesellschaft brauchen neue Antworten. Dabei müssen wir an unsere Stärken anknüpfen. Auf dem Zukunftskongress der Fraktion kommende Woche werden wir dies diskutieren.
Herr Oppermann, wie ist denn Ihre Laune, wenn Sie an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am kommenden Mittwoch zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM denken? Teilen Sie die Einschätzung, dass das Karlsruher Gericht den Rettungsschirm nicht stoppen wird?
Ich habe ein gutes Gefühl. Das Gericht hat in den bisherigen Entscheidungen zu den Rettungsschirmen immer wieder den Gedanken der demokratischen Legitimation betont. Ich glaube, dass das Gericht in der Kontinuität dieser Entscheidungen bleiben wird und rechne damit, dass es den Rettungsschirm für verfassungsgemäß erklären wird.
Vergangene Woche hat die Europäische Zentralbank (EZB) beschlossen, neue Staatsanleihen zu kaufen, allerdings unter strengen Auflagen. Ist das ein Erfolg für die Bundesregierung?
Die deutsche Regierung treibt ein abgekartetes Spiel: Scheinheilig warnen Kabinettsmitglieder vor der Vergemeinschaftung von Schulden. Tatsächlich aber benutzt Angela Merkel auf schamlose Weise die EZB, um die Schulden heimlich zu vergemeinschaften. Das ist ein Taschenspielertrick. Die EZB soll im Wahljahr durch den Ankauf von Staatsanleihen für Ruhe sorgen. Das sind Schulden, für die Deutschland mit 27 Prozent haftet, ohne dass der Bundestag dem zugestimmt hätte. Merkel weiß: Sie hätte dafür keine Mehrheit im eigenen Lager. Um die Wähler nicht aufzuschrecken, umgeht sie das Parlament.
Die SPD ist dagegen faktisch machtlos, weil sie im Parlament nicht gefragt wird. Trübt das Ihre gute Laune?
Merkel wird für genau diese Politik abgewählt werden. Das ist gut. Was meine Laune trübt, ist der Machtverlust der Demokratie gegenüber den Finanzmärkten. Wir müssen mit Steuergeldern Banken retten, die sich verzockt haben und doch gerettet werden müssen, damit das Gesamtsystem nicht kollabiert. Es macht jeden Demokraten wütend, dass wir eine Regierung haben, die dieses Problem nicht angeht. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode alles daran setzen, das Primat der Politik wieder zurückzugewinnen. Für uns steht die Regulierung der Finanzmärkte ganz oben auf der Tagesordnung.
Für die nach Ihrer Meinung unaufrichtige Politik bei der Euro-Rettung hat die Kanzlerin im Deutschen Bundestag mehrfach die Unterstützung der SPD erhalten. Soll die verschärfte Rhetorik darüber hinwegtäuschen, dass die SPD in der Euro-Krise weiter den Schulterschluss mit der Kanzlerin üben wird?
Da irren Sie sich. Diese Entscheidungen waren in der Sache notwendig, aber nicht ausreichend. Wir haben aber die Chance genutzt, um die Finanztransaktionssteuer und ein europäisches Konjunkturprogramm durchzusetzen. Das wäre ohne die SPD nicht gekommen.
Die SPD will eine stärkere europäische Integration, nämlich eine Fiskalunion und dann eine gemeinschaftliche Haftung. Glauben Sie wirklich, der deutsche Facharbeiter findet es im Wahlkampf eine gute Idee, dass er auch für die Schulden der Krisenstaaten haften soll?
Augenblick mal: Es ist doch Merkels Politik, die dafür gesorgt hat, dass die deutschen Steuerzahler schon jetzt für viele hundert Milliarden Euro haften. Die Arbeitnehmer in Deutschland haben ein feines Gespür dafür, dass Europa nicht nur für Frieden und Demokratie, sondern auch für unseren Wohlstand eine große Bedeutung hat. Aber es muss gerecht zugehen. Und wenn sie sehen, dass sie selbst einstehen müssen und die Reichen in den Krisenländern keine Steuern zahlen, dann empfinden sie das als zutiefst ungerecht. Unsere Botschaft an die Krisenstaaten lautet deshalb: Keine Leistung ohne Gegenleistung.
Herr Oppermann, wie glücklich sind Sie eigentlich darüber, dass Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren Plänen für eine Zuschussrente die Debatte dominiert, die SPD aber bisher noch nicht einmal eigene Vorschläge zur Rente erarbeitet hat?
Frau von der Leyen verkennt, dass Altersarmut immer die Folge von Erwerbsarmut ist. Gut bezahlte Arbeit ist das beste Mittel gegen Armut im Alter. Wir legen unsere Vorschläge diese Woche vor. Mir ist wichtig, dass Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und Rentenbeiträge gezahlt haben, am Ende mehr bleibt als die Grundsicherung. Das ist sozial gerecht und respektiert die Lebensleistung der Menschen.
Wird die SPD den rot-grünen Beschluss zur Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent bis 2030 revidieren und dieses auf 51 Prozent einfrieren?
Nein. Wir dürfen die demografischen Veränderungen nicht ignorieren. Die geburtenschwachen Jahrgänge können nicht allein den Lebensunterhalt für die geburtenstarken Jahrgänge erarbeiten. Damit wäre diese Generation überfordert. Wir müssen daher drohende Altersarmut über andere Instrumente auffangen. Was wirklich hilft, sind gute Arbeit und hohe Löhne.
Das Gespräch führten Hans Monath und Christian Tretbar. Das Foto machte Georg Moritz.
KOMMUNIKATOR
Mehr Schlagzeilen als Thomas Oppermann produzieren nur wenige in der SPD. Mit klaren Urteilen und zugespitzten Formulierungen ist der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion fast zu jeder Zeit, fast zu jedem Thema und fast in allen Medien präsent.
PRAGMATIKER
Dass Politik die Gesellschaft verändern kann, lernte Oppermann als
Freiwilliger bei der Aktion Sühnezeichen in den USA. Nach fünf Jahren als
Wissenschaftsminister in Niedersachsen (1998 bis 2003) wurde der heute 58-Jährige 2005 erstmals in den Bundestag gewählt.
ANWÄRTER
Im Wahljahr 2009 war Oppermann im Schattenkabinett von Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier für Innenpolitik zuständig. Sollte es die SPD 2013 in die Regierung schaffen, wäre der Jurist ein starker Anwärter auf das Amt des Bundesinnenministers.