Umfrage unter Sozialarbeiterinnen: Geflüchtete Kinder und Jugendliche werden inzwischen besser versorgt
Lange Zeit waren deutsche Behörden dabei überfordert, sich angemessen um junge Geflüchtete zu kümmern. Nun funktioniert es besser.
Die Versorgung jugendlicher Flüchtlinge, die ohne Eltern oder andere Erwachsene in Deutschland ankommen, hat sich nach den Jahren der Improvisation und Überforderung ab 2014 insgesamt verbessert. Baustelle bleibt aber die psychologische Betreuung der vielen oft traumatisierten jungen Leute und mangelnde Hilfe auf ihrem Weg durchs deutsche Bildungssystem.
Das hat der "Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (BumF) in einer Umfrage unter Sozialarbeiterinnen und anderen Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe festgestellt, deren Auswertung dem Tagesspiegel vorliegt.
Die mit Abstand größten Probleme der jungen Geflüchteten sind demnach nach wie vor ihr Aufenthaltsstatus, der oft nicht geklärt ist oder der wieder unsicher wird, wenn sie volljährig werden, und die Angst um ihre Familien beziehungsweise die Sorge, dass Eltern und Geschwister nicht nachkommen können.
"Deutschland setzt EuGH-Urteil nicht um"
Dabei gaben 95,4 der Sozialfachleute an, dass für ihre Schützlinge aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten am belastendsten seien, 90,6 Prozent nannten die Trennung von den Familien und 84,3 Prozent Angst vor der Zukunft als schwerste Belastung. Damit bleibt es bei den Problemen, die auch schon die Umfrage des BumF im Februar 2018 ergab.
Und neue kommen hinzu: Inzwischen sind mehr als die Hälfte der jungen Flüchtlinge in Deutschland volljährig geworden, der Anteil der technisch Erwachsenen werde "angesichts der gesunkenen Einreisezahlen weiterhin steigen", heißt es im Bericht des BumF.
Damit verlieren sie die Möglichkeit, die Eltern nachzuholen. Zwar entschied der Europäische Gerichtshof vor einem Jahr, dass sie dieses Recht behalten, wenn sie als Minderjährige ihren Asylantrag gestellt haben. Dieses Urteil, schreiben die BumF-Autorinnen Johanna Karpenstein und Tobias Klaus, werde "jedoch in der deutschen Praxis nicht umgesetzt".
Auch dass der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten inzwischen wieder aufgenommen ist - er wurde von der großen Koalition zeitweise völlig ausgesetzt und im August 2018 auf insgesamt monatlich tausend nachziehende Verwandte begrenzt - hilft den jungen Leuten nicht. Auch dieses Kontingent wurde 2018 nicht ausgeschöpft. Außerdem gilt es im Falle von Kindern nur für die Eltern, die damit "vor die Wahl gestellt" würden, "zu entscheiden, für welches ihrer minderjährigen Kinder sie sorgen wollen und welches sie im Stich lassen müssen".
Gewalterlebnisse und Missbrauch verbreitet
"Besorgniserregend" nennt der Fachverband die sinkende Schutzquote für jugendliche Flüchtlinge. wurden 2015 noch 93 Prozent aller Anträge positiv beschieden, war das 2018 nur noch für 61 Prozent der Fall, was mit dem einst hohen und jetzt geringeren Anteil syrischer Jugendlicher zu tun hat, die meist positiv entschieden wurden.
Aber auch bei den jetzt wichtigsten Herkunftsländern Afghanistan und Somalia ist sie gesunken, von 93 Prozent 2015 auf jetzt 63 Prozent für junge Afghaninnen und Afghanen und von 96 auf 67 Prozent für Somalierinnen - jeweils von 2015 bis 2018. Beide Gruppen seien unverändert sehr schutzbedürftig, so der BumF. Verändert habe sich aber die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
Die Lage der jungen Leute ist nach Angaben derer, die sich von Berufs wegen um sie kümmern, auch durch Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht stark belastet. 58 Prozent von ihnen berichten, dass die Jugendlichen oft oder sehr oft Gewalt und Missbrauch erlebt haben.
Dabei nimmt der BumF an, dass die Sozialarbeiterinnen und Vormünder nur einen Teil erfahren, weil viele erst nach einer Zeit, in der sie stabiler wurden und Vertrauen gefasst haben, in der Lage sind, über diese Erfahrungen zu sprechen. Dennoch bewertet fast die Hälfte der Fachleute (48,6 Prozent) ihre psychologische Versorgung als schlecht oder sehr schlecht. Ein Jahr zuvor war dieser Wert mit 53,7 Prozent allerdings noch höher. Ihre medizinische Versorgung im Fall körperlicher Probleme hält die Mehrheit für gut.
Gefahr: abgebrochener Bildungsweg
Verbessert hat sich demnach auch die Hilfe über den Tag des 18. Geburtstags hinaus. Mehr als drei Viertel der Befragten geben an, dass bei ihnen junge Erwachsene weiter Hilfe bekommen - allerdings oft mit kurzen Fristen. Auch ihre Integration in Schule und Ausbildung wird inzwischen zwar besser, aber auch hier spricht der Verband von Besorgnis.
Der Zugang zu Schule und Spracherwerb nämlich wird schwieriger, je älter die Geflüchteten sind. Für die wachsende Gruppe der über 18-Jährigen nennen nur 30 Prozent der Fachleute die Situation positiv. Bei den unter 16-Jährigen sagen das 72 Prozent. Was Bildung angehe, so der BumF, sei "der Konsolidierungsprozess nach den hohen Zugangszahlen in 2015 und 2016 am wenigsten weit fortgeschritten, auch wenn sich die Situation seither verbessert hat".
Wichtig sei vor allem, den Übergang in die Berufsausbildung an weiterführende Schulen zu fördern. Hier gebe es oft Schwierigkeiten, die dazu führten, dass die Geflüchteten ihren Bildungsweg abbrächen.
Auch das "Verschwinden" von minderjährigen Flüchtlingen, das vor ein paar Jahren Schlagzeilen machte, ist Thema des Berichts. Die Zahl vermisster junger Geflüchteter sank 2018 weiter, allerdings bei sinkenden Ankunftszahlen – der Bericht spricht von einem insofern "weiterhin relativ häufigen Phänomen".
Das Bundeskriminalamt meldet eine Aufklärungsquote von 85 Prozent, die Kinder und Jugendlichen tauchen folglich meist anderswo wieder auf. Als mögliche Gründe nennen die Betreuerinnen Angst vor Abschiebung - mit der Volljährigkeit sind sie davor nicht mehr geschützt - und Frustration über ihre Perspektivlosigkeit.
Kaum Mittel, sich juristisch zu wehren
Aber auch die bundesweite Verteilung, die zu wenig berücksichtigt, wo Freunde und Verwandte leben, halten sie für entscheidend. Problematisch erscheint auch, dass sie sich praktisch gegen eine Verteilung nicht wehren oder wehren können, die nicht in ihrem Interesse ist. Nur sechs Prozent der Fachleute halten die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, für gut.
Für die Umfrage verschickte der BumF online Fragebögen an mehr als tausend Fachleute, die in der Kinder- und Jugendhilfe für Geflüchtete sorgen. Fast 40 Prozent waren Betreuerinnen und Betreuer aus den Jugendhilfseinrichtungen, 16 Prozent waren Vorgesetzte, zwölf Prozent Vormünder und 11 Prozent Fachkräfte des allgemeinen sozialen Diensts. Ausgewertet wurden die 723 vollständig beantworteten Fragebögen.
Andrea Dernbach
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