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Die Schwächsten müssen zahlen. Alle Kriegsparteien töten Unbeteiligte.
© imago/Xinhua

UN-Bericht über zivile Opfer: Gefährliches Afghanistan

2016 wurden in Afghanistan so viele Zivilisten wie nie zuvor Opfer von Gewalt. Einige Bundesländer wollen daher zunächst keine Flüchtlinge mehr in das Land abschieben.

Die Vereinten Nationen (UN) zeichnen ein düsteres Bild von Afghanistan. In dem Land am Hindukusch kämpfen auch zwei Jahre nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen Regierungstruppen gegen radikalislamische Kräfte. Und beide Seiten nehmen dabei wenig Rücksicht auf die Bevölkerung, wie die UN in einem nun vorgelegten Bericht beklagen. 2016 wurden so viele Zivilisten wie nie zuvor in Afghanistan durch Kämpfe verletzt oder getötet. Darunter sind immer mehr Kinder. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich also weiter verschlechtert. Auch, weil „ eine weitere tödliche Komponente“ auf der Bildfläche erschienen sei: ein Ableger des sogenannten Islamischen Staates (IS), wie es in dem UN-Bericht heißt.

Für Deutschland wirft die Lagebeurteilung erneut die Frage auf, ob Flüchtlinge aus Afghanistan in ihre Heimat abgeschoben werden können. Die Bundesregierung hatte im vergangenen Oktober ein Rückführungsabkommen mit der afghanischen Regierung abgeschlossen und danach gemeinsam mit den Bundesländern erste Sammelabschiebungen abgelehnter Asylbewerber organisiert. Im Dezember wurden 35 Afghanen nach Kabul geflogen, Ende Januar weitere 25. Insgesamt leben fast 12 000 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland.

Abgeschoben wurden bisher ausschließlich Männer, viele davon Straftäter oder sogenannte Gefährder. Angesichts der neuen Zahlen haben nun jedoch mehrere Bundesländer Zweifel an der Rückführungspraxis angemeldet. Schleswig-Holstein, Bremen und Hannover wollen zunächst keine weiteren Afghanen mehr abschieben, Berlin will sich ebenfalls zurückhalten und Rheinland-Pfalz nur noch Straftäter und Gefährder in ihre Heimat zurückschicken.

Bundesregierung sieht keinen Grund für Neubewertung

Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium sehen dagegen keinen Grund für eine „generelle Neubewertung“ der Lage, wie ein Sprecher des Außenamtes sagte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte wiederholt erklärt, in Afghanistan gebe es trotz aller Sicherheitsprobleme sichere Regionen, in die Flüchtlinge zurückkehren könnten. Dies gilt auch weiterhin.

Ob es solche sicheren Regionen tatsächlich gibt, ist umstritten. Der nun vorgelegte UN-Bericht trifft dazu keine Aussage. Aus ihm und anderen UN-Angaben geht aber hervor, dass sich die Kräfteverhältnisse in Afghanistan seit Abzug der Nato-Kampftruppen Ende 2014 deutlich zugunsten der Aufständischen, allen voran der Taliban, verschoben haben. In vielen Gebieten haben die „Gotteskrieger“ längst wieder eigene Regierungsstrukturen aufgebaut. Eine der Folgen: „Frauen werden in parallelen Gerichtsverfahren brutal bestraft“, sagt UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al Hussein.

Die UN rechnen zudem damit, dass 2017 bis zu eine Million Flüchtlinge aus Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückkehren könnten. Die meisten ohne konkrete Perspektive. Schon jetzt sind rund zehn Millionen Afghanen auf Hilfe angewiesen. Für Afghanistans Regierung allein wäre das nicht zu bewältigen. Sie ist maßgeblich auf Unterstützung von außen angewiesen, auf die UN, aber auch auf einzelne Staaten. Deutschland ist einer der wichtigsten Geber. Die Bundeswehr hat außerdem noch immer fast 1000 Soldaten in Afghanistan stationiert, die die einheimischen Streitkräfte beraten. Doch die afghanische Armee ist noch immer schlecht ausgerüstet und die Soldaten sind angesichts schlechter Bezahlung und hoher Verlustraten wenig motiviert.

Der UN-Gesandte in Kabul, Tadamichi Yamamoto, appellierte an alle Kriegsparteien, Zivilisten zu schonen. Die Regierungstruppen nahm er dabei ausdrücklich nicht aus, denn laut den UN-Angaben sind sie für fast ein Viertel der zivilen Opfer verantwortlich. Doch während die meisten Kriegsparteien Zivilisten immerhin nicht direkt angreifen, macht der IS gezielt Jagd auf sie: auf Afghanen schiitischen Glaubens. Laut dem UN-Bericht wurden 2016 fast 8000 Zivilisten bei Kämpfen verletzt. Die Zahl der Todesopfer ging zwar leicht zurück – auf 3500 –, alarmierend sei jedoch, dass immer mehr Kinder ums Leben kämen. Mehr als 900 waren es 2016. Die Schwächsten in der Gesellschaft zahlten den höchsten Preis, sagte Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al Hussein die Entwicklung.

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