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Fettleibigkeit ist auch ein Problem für die Solidargemeinschaft.
© picture-alliance/ dpa

Zucker in Lebensmitteln: Gar nicht süß!

Die Politik sollte Dickmachern den Kampf ansagen - mit Werbeverboten und einer Zuckersteuer. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Dass es von der Dosis abhänge, ob etwas Gift ist oder nicht, hat die Welt seit nahezu 500 Jahren dank Paracelsus schriftlich, aber dass sie daraus Konsequenzen ziehen würde, ist zumindest am normal sortierten Supermarktregal nicht ersichtlich. Dicht an dicht finden sie sich da, die Joghurtdrinks, Quarkspeisen, Frühstücksmüslis, Aufbackcroissants, Mett- und Leberwurst, die Camemberts, Ketchups, die Eiscremes, Kekse, Chips, Kräcker, Fertigpizzen, Fertigtorten, Limonaden, Eistees, und noch vieles mehr. Produkte für unterschiedliche Mahlzeiten mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, die aber eins verbindet: Sie listen unter ihren Topinhaltsstoffen Zucker und/oder Fett auf.

Fast ein Viertel der deutschen Kinder sind zu dick

Zucker und Fett sind in viel zu vielen Lebensmitteln in viel zu hoher Dosierung enthalten, und was das anrichtet, konnte man gerade wieder im Tagesspiegel lesen: Die Menschen werden immer dicker, und das geht in immer jüngeren Jahren los: Eine aktuelle Umfrage der Weltgesundheitsorganisation WHO unter 220 000 Schulkindern aus 42 Ländern hat demnach für Deutschland ergeben, dass 23 Prozent der jungen Menschen übergewichtig sind, nahezu jeder vierte.
Neben der Einschränkung der körperlichen Fitness und den psychischen Belastungen durch (vermutlich nicht ausbleibende) Ausgrenzungserfahrungen, die das für den Einzelnen bedeutet, ist das auch ein Flurschaden an der allgemeinen Volksgesundheit, der von der Lebensmittelindustrie angerichtet wird. Völlig ungestraft, annähernd unsanktioniert – und auf Kosten anderer.

Ungesunde Ernährung belastet die Solidargemeinschaft

Übergewicht ist keine Frage von attraktiv oder nicht, es ist ein Gefahrenherd. Es kann zu Bluthochdruck, Diabetes, Stoffwechselkrankheiten und Gelenkschäden führen, außerdem wurde auch ein Zusammenhang zwischen Adipositas und Krebserkrankungen festgestellt. Diese durch die schlechte Ernährung entstehenden Gesundheitsprobleme muss die – ohnehin belastete – Solidargemeinschaft der Kranken- und Rentenversichterten auffangen, wenn sich diejenigen mit ihren Übergewichtsleiden krank oder arbeitsunfähig schreiben lassen. Und die Hersteller der schlechten Produkte kommen unbehelligt davon. Warum sollte das so bleiben? Wie es anders laufen kann, zeigt der Umgang mit der Tabakindustrie. Deren Produkte werden mit immer großflächigeren Warnhinweisen bedruckt und werden stetig teurer.

Nikotin wird bekämpft

Die Lebensmittelhersteller hingegen stopfen nicht nur ungebremst Zucker und Fett in ihre Lebensmittel, sondern bewerben die auch noch zur besten Sendezeit und gern direkt mit Blick aufs Kind. Denn nicht nur die Hersteller wissen: Dicke Kinder werden meist dicke Erwachsene. Es sind also die treuen Kunden von morgen, die heute in der Müslitüte nach irgendwelchen Plastikwerbefigürchen suchen. Wenn Fett und Zucker, wie Wissenschaftler nahelegen, ein potenzielles Gefährdungspotenzial haben und wie Zigaretten Abhängigkeiten provozieren, dann soll man sie ähnlich behandeln: Durch Zucker- und Fettsteuern müssten die Produkte dramatisch verteuert werden, so dass die Wahl zwischen sechs zusammengeschweißten 1,5-Liter-Flaschen Pfirsicheistee und derselben Menge Mineralwasser viel häufiger im Portemonnaie entschieden wird. Das funktioniert sicher. Übergewicht hat auch mit sozialem Status zu tun und nimmt tendenziell mit abnehmendem Wohlstand und Bildungsgrad zu. Es dabei zu belassen, nach dem achselzuckenden Motto: Ihr müsst das Zeug ja nicht kaufen, geht nicht. Das hat mit Fürsorgepflicht zu tun. Wenn bekannt ist, das etwas schädlich ist, muss das thematisiert werden. Man denke an den behütenden Spielsuchthinweis auf Lottoscheinen.

Der Versuch einer Selbstverpflichtung für die Lebensmittelindustrie scheiterte

Die Steuereinnahmen könnten zweckgebunden an die Kranken- und Sozialkassen weitergeleitet werden. Außerdem sollte es ein generelles Werbeverbot für Produkte mit einem Zucker- und Fettanteil über einem bestimmten Prozentsatz geben. Es ist ja nicht so, dass solche Ungesundheiten nicht mehr gegessen würden, nur weil keine TV-Spots mehr Zusammenhänge zu glücklichen Familien herstellen. Aber die bewusste Irreführung würde aufhören.
Da die Lebensmittelindustrie sich nicht von alleine beschränkt – ein Selbstverpflichtungsprojekt namens „EU Pledge“ wurde von Foodwatch zerpflückt –, muss sie gezwungen werden. Auch dazu ist Politik da. Das wäre eine Aufgabe für Ernährungsminister Christian Schmidt, mit der er sich ein Denkmal setzen könnte – anders als mit dem nun vom ihm angezettelten irrelevanten Streit über das Mindesthaltbarkeitsdatum.

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