Münchner Sicherheitskonferenz: Gabriel warnt: Die Welt steht am Abgrund
Außenminister Sigmar Gabriel appelliert in München an Staatschefs, Lösungen für Krisenregionen zu finden – und bewirbt sich um Verbleib im Amt.
Mit einer leidenschaftlichen Rede hat sich Sigmar Gabriel (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz darum beworben, auch künftig Außenminister zu sein. Er spannte den ganz großen Bogen, um klar zu machen, wie wichtig es sei, dass kein Anfänger ans Ruder komme.
In seiner Rede schreckte Gabriel nicht vor Pathos zurück: Die Welt stehe an einem gefährlichen Abgrund, „denn Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sind derzeit anscheinend die knappsten Güter der internationalen Politik.“ Europa stehe an einer Wegscheide, wie die Welt sie nur alle paar Jahrhunderte sehe. „Es geht wieder um die Freiheit.“ Wenn Europa nicht handele, werde China sein nur auf eigene Interessen setzendes System überall durchzusetzen versuchen. China habe als einziges Land „eine globale geostrategische Idee“ – „vorzuwerfen ist es uns, dass wir als Westen keine eigene Strategie haben, die auf Ausgleich und Werte setzt.“ Um als starker Spieler in der Weltpolitik zu bestehen, müsse Europa sich für das 21. Jahrhundert neu aufstellen. Es brauche eine gemeinsame Strategie und die Instrumente, um sie durchzusetzen. „Das wird sehr anstrengend, vor allem für uns Deutsche“, sagte Gabriel. „Als einziger Vegetarier in einer Welt der Fleischfresser“ werde es nicht gehen – und er meinte damit wohl auch militärische Einsätze.
Kopfschütteln erntete Gabriel bei einem Treffen mit Lawrow
Moderater als im Wahlkampf äußerte Gabriel Zweifel am Nato-Ziel, jedes Mitglied solle anstreben, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Sinnvoller sei es, durch bessere Zusammenarbeit in Europa die Effizienz zu erhöhen. Mit Blick auf die Beziehungen zu den USA war Gabriel deutlich verbindlicher als noch im Dezember. Er betonte die historische Tiefe der Beziehungen und die gegenseitige Abhängigkeit: „Wenn wir prägend sein wollen, müssen wir erkennen, dass die eigene Kraft in Europa nicht ausreichen wird.“
Kopfschütteln unter Beobachtern und Diplomaten erntete Gabriel bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Dort wechselte er in seine Rolle als SPD-Politiker und plädierte für einen schrittweisen Abbau der Russland-Sanktionen, sollte Wladimir Putin einer UN-Blauhelmmission in der Ostukraine zustimmen. Die offizielle Position der Bundesregierung sei das nicht, sagte auch Gabriel. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bekräftigte prompt: „Die Voraussetzung für den Abbau der Sanktionen ist die vollständige Umsetzung des Minsk-Abkommens“, also der Abzug russischer Truppen aus der Ostukraine. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin reagierte entspannt. „Darüber habe ich mit Sigmar schon oft diskutiert“, sagte er dem Tagesspiegel. „Für uns steht fest: Die richtige Reihenfolge muss eingehalten werden. Zuerst muss Russland etwas Wesentliches leisten.“
Auf den Gängen in München wird klar: Viele internationale Gäste können mit den Ankündigungen der Deutschen wenig anfangen. Für wen sprechen sie, fragen sie sich. „Die Deutschen sind offenbar verwirrt“, sagt eine hochrangige Diplomatin. „Ich werde jetzt beten, dass Deutschland bald eine Regierung bekommt. Es richtet international großen Schaden an, dass Deutschland im Moment keine ernsthaften Entscheidungen treffen kann.“ Und Frankreich allein wird ohne Deutschland den europäischen Motor im Moment nicht anwerfen.