Streit um Regierungserklärung: Gabriel verteidigt Weil: "Hätte mich exakt genauso verhalten"
Niedersachsens Regierungschef sieht in der Debatte um seine Regierungserklärung ein Wahlkampfmanöver. In der SPD ist von "Intrigen" die Rede.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat sich gegen den Vorwurf verteidigt, er habe eine Regierungserklärung zum Diesel-Skandal im Oktober 2015 durch den Volkswagen-Konzern überarbeiten lassen. „Der angeblich neue Ärger ist eine olle Klamotte und schon vor mehr als einem Jahr in Niedersachsen diskutiert worden. Das ist ein Wahlkampfmanöver“, sagte der SPD-Politiker der „Bild“-Zeitung. „Klipp und klar“ habe VW seine Regierungserklärung nicht weichgespült. Auch zwei Parteifreunde verteidigten den Ministerpräsidenten: Er hätte sich "exakt genauso verhalten", sagte Außenminister Sigmar Gabriel, ein Amtsvorgänger Weils. SPD-Vize Ralf Stegner sprach von "Intrigen". Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring Eckhardt hingegen sagt:„Ich denke, das wird er beim nächsten Mal auch anders machen.“
Die Bundesregierung hat derweil den Vorwurf zurückgewiesen, das Kanzleramt lasse sich von der Autolobby beeinflussen. „Es ist kein einziger Fall bekannt, dass ein Redeentwurf zur Begutachtung externen Stellen vorgelegt worden wäre“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin. Reden von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würden immer intern entworfen und intern abgestimmt. Auch den Vorwurf, frühere Regierungsmitglieder hätten in ihrer aktuellen Rolle als Vertreter der Autoindustrie Einfluss auf sie beim Thema Diesel-Abgastests genommen, wies sie zurück. "Die Bundesregierung hat seit der Entdeckung der Manipulationen (...) deutlich gemacht, dass die Nicht-Einhaltung von Abgasvorschriften konsequent und lückenlos aufgeklärt werden muss." Dass die Bundesregierung und das Kanzleramt viele Stellungnahmen von Unternehmen und Interessengruppen erhielten und hierzu auch Gespräche führten, sei nichts Ungewöhnliches. Das gehöre zur Möglichkeit politischer Meinungsäußerung.
Der stellvertretende Fraktionschef der CDU im Bundestag, Michael Fuchs forderte derweil, dass das Land seine Beteiligung an Volkswagen aufgibt. „Der Staat sollte sich aus dem Autokonzern heraushalten“, sagte Fuchs der „Rheinischen Post“. Das Gesetz schaffe eine zu große Nähe zwischen Staat und Unternehmen. „Ich verstehe nicht, warum das Land Niedersachsen 20 Prozent an VW halten muss“, sagte Fuchs weiter. Bayern halte ja auch keine Anteile an BMW und Baden-Württemberg keine an Daimler. „Und beide Länder und Unternehmen fahren sicher nicht schlechter damit.“
Zuvor hatte die Staatskanzlei in Hannover bereits einen Vergleich des Redeentwurfs mit der von Weil im Oktober 2015 vor dem Landtag gehaltenen Regierungserklärung veröffentlicht. Zu erkennen sind dort zahlreiche Änderungen, die teils vom Hausanwalt der Regierung vorgenommen wurden, teils auf Anregung von VW. Die inhaltlich schärfste Formulierung, mit der Weil Kritik an dem Autobauer übte, blieb demnach erhalten. Der Ministerpräsident sagte: „So erklärt es sich auch, dass wir alle tief betroffen und entsetzt sind zu erfahren, dass bei Volkswagen über etliche Jahre hinweg Abgaswerte manipuliert worden sind. Dieses Vorgehen ist unverantwortlich, völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.“
Allerdings wurde im selben Absatz eine Passage über VW entpersonalisiert. Der Dokumentation der Landesregierung zufolge war zunächst die Formulierung vorgesehen: „Volkswagen hat damit gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht.“ Laut dem in der Dokumentation eingefügten Kommentar von Regierungssprecherin Anke Pörksen wurde daraus in einem angenommenen Änderungsvorschlag von VW der Satz: „Damit ist gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht worden.“
Die meisten der weiteren Änderungen, bei denen die Landesregierung nach eigener Darstellung den Wünschen des VW-Konzerns folgte, beziehen sich auf technische Details und Angaben zum amerikanischen Verfahrensrecht.
Redeentwurf vorab an VW verschickt
Die Regierungserklärung Weils, der auch VW-Aufsichtsrat ist, zur Diesel-Affäre war im Oktober 2015 vorab an VW verschickt worden. „Bild am Sonntag“ berichtete, VW habe den Text frisiert, weichgespült und Kritik abgeschwächt - Weil hatte das schon am Sonntag vehement bestritten. Der Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat verteidigte sein Verhalten nachdrücklich und sprach von einer „bodenlosen Unterstellung“. Auch ein VW-Sprecher erklärte, es sei üblich, dass Aufsichtsratsmitglieder geplante Aussagen über Konzernangelegenheiten mit dem Unternehmen abstimmen. Das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent zweitgrößter Anteilseigner von VW.
Weil sagte, der Konzern habe 2015 eine Regierungserklärung prüfen und verändern dürfen. Im Kern sei der Redetext völlig unverändert geblieben, insbesondere die klare und harte Kritik an Volkswagen. „Wir haben uns sehr verantwortungsvoll verhalten, vor allem mit Blick auf die vielen, vielen Arbeitsplätze“, sagte Weil. Der gesamte Sachverhalt sei in Niedersachsen im übrigen seit mehr als einem Jahr bekannt und im Landtag diskutiert worden.
VW-Mitarbeiter: "Wir haben die Rede weichgespült"
Auch eine interne Mail könnte Weil entlasten. In dem Schreiben soll seine Sprecherin Pörksen gut eine Woche vor der strittigen Regierungserklärung ihren Mitarbeitern klare Anweisungen über Grenzen der Abstimmung mit VW gegeben haben, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. Keinesfalls dürften politische Äußerungen mit dem Konzern abgestimmt werden. „Es geht nur um konkrete Aussagen zu den Vorgängen, die jetzt Gegenstand von Gerichtsverfahren sind.“
Die „Bild am Sonntag“ hingegen zitierte einen VW-Mitarbeiter, der an dem Vorgang beteiligt gewesen sein soll, mit den Worten: „Das war kein Faktencheck, wir haben die Rede umgeschrieben und weichgespült.“
Der Landesvorsitzende der FDP in Niedersachsen, Stefan Birkner, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wenn sich das bestätigt, ist das ein Unding“. Und weiter: „Wir hatten damals genau den Eindruck, da spricht nicht der Ministerpräsident, sondern ein Sprecher von VW.“ Die FDP-Fraktion hatte damals vor dem Staatsgerichtshof geklagt, weil sie Auskünfte zur Diesel-Affäre unzureichend fand.
Gabriel: "Vorwürfe finde ich abenteuerlich"
Außenminister Gabriel stellte sich am Montag hinter seinen Genossen. Das Verhalten Weils bezeichnete er als „völlig normal“. „Die Vorwürfe gegenüber Herrn Weil finde ich abenteuerlich. Ich hätte mich - ich war Ministerpräsident in Niedersachsen, ich war auch mal im Aufsichtsrat bei VW - exakt genauso verhalten“, sagte Gabriel bei einem Wahlkampfauftritt in Kirchheim unter Teck. „Nicht die Regierungserklärung zu dem Thema rechtlich abzustimmen mit dem Unternehmen, wenn er das nicht gemacht hätte, das wäre ein Vorwurfsgrund gewesen. Alles andere ist völlig normal“, sagte Gabriel.
Zugleich machte er der CDU schwere Vorwürfe: „In Niedersachsen haben wir ja Erfahrung damit, dass die CDU versucht, sich auf nicht ganz anständigen Wegen zur Macht zu schleichen. 1976 sind zwei Stimmen gekauft worden mitten in der Periode, damit Herr Albrecht Ministerpräsident werden konnte.“
Ralf Stegner: "Solche Intrigen schaden der Demokratie"
SPD-Vize Stegner hält die Vorwürfe gegen Niedersachsens Ministerpräsident für ein reines Ablenkungsmanöver. „Das ist jetzt ein plumper Versuch, die erfolgreiche Regierung unter Stephan Weil zu diskreditieren und von den Machenschaften der CDU in Niedersachsen abzulenken, die hinter dem Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU-Fraktion steht“, sagte Stegner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Solche Intrigen fördern Politikverdrossenheit und schaden der Demokratie.“
Stegner sagte, der Vorgang sei seit zwei Jahren bekannt und vor einem Jahr auch ausführlich im niedersächsischen Landtag diskutiert worden. „Die Landesregierung hat die aktuelle Berichterstattung auch bereits korrigiert und richtig gestellt.“
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte hingegen Konsequenzen. „Das Gemauschel bei der Regierungserklärung in Niedersachsen ist eine handfeste Affäre und muss definitiv Weils Rücktritt bedeuten“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete der Linken und ehemaliger Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Abgasskandal, Herbert Behrens, nannte das Verhalten Weils ungeheuerlich. Weil wende sich als Kontrolleur an diejenigen, die er kontrollieren soll. „Das ist absurd, aber auch ein deutlicher Hinweis auf die wahren Machtverhältnisse in Niedersachsen.“ (Tsp, dpa)