Historisch schlechte Wahlergebnisse: Gabriel fordert Konsequenzen von SPD-Chefin Nahles
Die Kritik an der Parteichefin wächst. "Alles und alle gehören auf den Prüfstand“, sagt Sigmar Gabriel. Auch andere Sozialdemokraten wollen einen Neustart.
Der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat von SPD-Chefin Andrea Nahles sofortige Konsequenzen aus dem desaströsen Ergebnis der Sozialdemokraten bei der Europa- und bei der Bremen-Wahl gefordert. „In Berlin müssen jetzt diejenigen Verantwortung übernehmen, die den heutigen personellen und politischen Zustand in der SPD bewusst herbei geführt haben“, sagte Gabriel dem Tagesspiegel.
Bei beiden Wahlen stürzte die SPD auf ihre bisher schlechtesten Ergebnisse ab. „Sie müssen jetzt auch Verantwortung für die SPD als Ganzes übernehmen“, forderte Gabriel. Er war von Nahles nach Bildung der großen Koalition im vergangenen Jahr ausgebootet worden und durfte nicht als Außenminister weitermachen.
Alle gehören auf den Prüfstand
„Niemand, der Verantwortung für die SPD trägt, kann ab morgen einfach zur Tagesordnung übergehen. Alles und alle gehören auf den Prüfstand“, forderte Gabriel: „Es geht um mehr als eine Wahlniederlage, es geht jetzt um die Existenz der SPD als politische Kraft in Deutschland.“ Trotz höherer Wahlbeteiligung hätten die Koalitionsparteien der Bundesregierung beide drastisch verloren.
„Das Ergebnis ist eine Misstrauenserklärung der Bevölkerung gegenüber der Bundesregierung“, betonte Gabriel. Er will nach Tagesspiegel-Informationen bei der nächsten Wahl nicht erneut für den Deutschen Bundestag kandidieren. Bei der Europawahl stürzte die SPD um fast zwölf Punkte auf 15,5 Prozent ab und landete weit hinter Union und Grünen, bei der Bürgerschaftswahl in Bremen verlieren die Sozialdemokraten erstmals seit 73 Jahren den ersten Platz an die CDU, dort gab es ein Minus von rund sieben Punkten auf 24,5 Prozent.
Nahles wollte keine Konsequenzen ziehen
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wies Gabriels Kritik zurück. „Was wir nicht brauchen, sind jetzt irgendwelche alten Verantwortlichen, die von der Seitenlinie kommentieren“, sagte Klingbeil am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Gabriel musste nach der letzten Bundestagswahl das Amt des Außenministers abgeben und ist jetzt nur noch einfacher Abgeordneter im Bundestag.
Auch Klingbeil bekräftigte aber: „Es kann kein „weiter so“ geben.“ Das Vertrauen der Wähler sei über Jahre verloren gegangen. „Das bringt man auch nicht durch ein gutes Gesetz zurück.“ Als Beispiele, wo die SPD inhaltlich „nicht auf dem Platz war“, nannte er Digitalisierung und Klimaschutz. „Wir müssen Konsequenzen ziehen.“ Über eventuelle Rücktritte sprach er jedoch nicht. „Es wird nicht der Punkt sein, jetzt irgendwie Köpfe auszutauschen, und dann ist alles gut“, sagte er.
Nahles wollte zunächst keine Konsequenzen ziehen. Die Ergebnisse seien für die SPD "extrem enttäuschend", sagte sie in einer ersten Reaktion. Erstmals sei die SPD bei einer bundesweiten Wahl dritte Kraft hinter den Grünen. Die Wahlergebnisse zeigten, „dass wir noch viel zu tun haben." Bei der SPD hat die Parteilinke unter Führung von Parteivize Ralf Stegner, dem Chef der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, und Juso-Chef Kevin Kühnert, für Montagmorgen eine Erklärung angekündigt.
Intern werden Nahles immer wieder peinliche Auftritte angelastet, zudem hagelte es unter ihrer Führung bisher nur Niederlagen. Wenn es vorerst keine personellen Konsequenzen geben sollte, könnte es spätestens im September dazu kommen: Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg wählt die Bundestagsfraktion die Fraktionsspitze neu. Dafür erwägt der frühere SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz eine Gegenkandidatur.
Keine bekannten Anwärter
Für den Parteivorsitz gibt es dagegen bisher keine bekannten Anwärter. Beim Bundesparteitag im Dezember muss sich Nahles der Wiederwahl stellen. Die SPD-Politikerin Simone Lange, die im April 2018 beim Bundesparteitag in Wiesbaden Nahles bei der Abstimmung über den Vorsitz unterlegen war, forderte einen Neustart und forderte die Urwahl eines oder einer neuen Vorsitzenden durch die Mitglieder.
„Die Bundes-SPD hat in diesem Jahr noch die Chance, ihren Vorstand neu aufzustellen“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Wir SPD Mitglieder müssen diese Chance nutzen und allen zeigen, dass wir es besser können. Und wir sollten alle Mitglieder daran beteiligen.“ Die Urwahl des Vorsitzes wäre ein echter Neubeginn und ein Aufschwung zugleich.
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