Istanbul nach der Wahl: Fußballfans feiern Erdogans Kontrahenten
Die AKP zweifelt den Sieg von Ekrem Imamoglu in Istanbul weiter an. An diesem Montag soll über eine Neuwahl entschieden werden – doch die Stimmung kippt.
Im Stadion des Istanbuler Fußballclubs Besiktas brandeten am Samstagabend laute Sprechchöre auf, die Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht gefallen haben dürften: Zehntausende Fans feierten den Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu, der auf der Tribüne Platz genommen hatte.
Imamoglu war nach vorläufigen Ergebnissen bei der Kommunalwahl vor zwei Wochen zum neuen Oberbürgermeister der Metropole gewählt worden, wartet aber immer noch auf seine Ernennungsurkunde. „Gebt ihm die Urkunde, gebt ihm die Urkunde, gebt Imamoglu die Urkunde“, riefen die Zuschauer.
Mit seinem Überraschungserfolg bei der Wahl am 31. März ist der 48-jährige Imamoglu zum neuen Hoffnungsträger der türkischen Opposition geworden. Sein Auftritt im Fußballstadion zementierte seinen Ruf als Leitfigur der Erdogan-Gegner weiter.
Um die Machtübergabe an Imamoglu in Istanbul zu verhindern, hat Erdogans Regierungspartei AKP in mehreren Bezirken von Istanbul eine Neuauszählung der Stimmen durchgesetzt. Zudem plant sie einen Antrag auf komplette Annullierung der Wahl in der 15-Millionen-Stadt. Die Opposition habe die Ergebnisse verfälscht, beschwert sich die AKP. Zwar ist Imamoglus Stimmenvorsprung vor dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim nach den Neuauszählungen geschrumpft. Doch Beweise für Manipulationen blieb die AKP bisher schuldig.
Ausländische Investoren sind verunsichert
Nun muss die zentrale Wahlkommission in Ankara entscheiden, ob sie Imamoglus knappen Sieg in Istanbul anerkennt. Ein Beschluss könnte an diesem Montag fallen. Anschließend könnte die AKP dann formell eine Neuauflage der Wahl verlangen, die dann voraussichtlich am 2. Juni wiederholt würde.
Erdogans Weigerung, das Ergebnis in Istanbul anzuerkennen, verunsichert ausländische Investoren. Gespräche von Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak mit Anlegern in den USA liefen schlecht, wie die Nachrichtenagentur Reuters und die „Financial Times“ berichteten. Regierungsnahe Zeitungen warfen darauf den internationalen Medien vor, eine Kampagne gegen die Türkei zu führen.
Gleichzeitig gehen die Behörden im eigenen Land weiter mit drastischen Mitteln gegen Regierungskritiker vor. In den frühen Morgenstunden holten Polizisten am Sonntag den bekannten Wirtschaftsexperten Mustafa Sönmez aus dem Bett und nahmen ihn fest.
Auf Twitter hatte Sönmez am Samstag ein Video verbreitet, auf dem feiernde Besiktas-Fußballfans zu sehen sind, die mit Biergläsern in der Hand dem frommen Muslim Erdogan zuprosten. Sönmez wurde am Sonntagnachmittag auf freien Fuß gesetzt, wird aber wegen Präsidentenbeleidigung und Volksverhetzung vor Gericht gestellt, wie er nach seiner Freilassung sagte.