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Die rechtsextreme Marine Le Pen und Amtsinhaber Emmanuel Macron treten in der Stichwahl am 24. April gegeneinander an.
© Sarah Meyssonnier/REUTERS

Le Pen in der Stichwahl: Für Macron ist es nochmal gut gegangen – vorerst

Macron hat einen überraschenden Vorsprung, aber das rechtsextreme Lager ist insgesamt gestärkt. Die Verdrossenheit mit dem System ist groß. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Es ist erst einmal gut gegangen. Amtsinhaber Emmanuel Macron liegt im ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahlen mit einem überraschend deutlichen Abstand vor seiner Herausforderin, der Rechtsextremen Marine le Pen. Damit wird in der Stichwahl das Duell von 2017 neu aufgelegt – aber von einer reinen Wiederholung kann nicht die Rede sein.

Zuviel ist 2022 anders: Das rechtsextreme Lager insgesamt ist deutlich stärker als vor fünf Jahren – und der Missmut über das politische System und das politische Personal ebenfalls. Daher werden die kommenden zwei Wochen bis zum zweiten Wahlgang am 24. April möglicherweise spannender als der bisherige Wahlkampf.

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Denn Macron muss jetzt durchstarten – bisher hatte der Amtsinhaber kaum Wahlkampf gemacht, sondern vor allem auf seine Rolle als Amtsinhaber und als international erfahrener Staatsmann gesetzt. Der Ukraine-Krieg ließ diese Strategie zunächst erfolgversprechend aussehen.

Doch dass die Franzosen die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten mindestens genauso umtreiben wie Krieg und Frieden, hatte er unterschätzt und die Umfragen ließen Le Pen zwischenzeitlich gefährlich aufholen.

In der Stichwahl muss Macron um jede Stimme kämpfen – und zwar auf der radikalen Linken. Denn auch wenn sich die sozialistischen, grünen und republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten bereits für eine Unterstützung Macrons im zweiten Wahlgang ausgesprochen haben: Sie haben nur jeweils erschütternde 1,7 bis 4,8 Prozent der Stimmen erhalten. Daher muss Macron um die Anhänger des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon werben, der es auf etwa 20 Prozent der Stimmen gebracht hat und mit dem ihn eine solide Männerfeindschaft verbindet.

Marine le Pen dagegen hat ihr Wählerreservoir anders als vor fünf Jahren noch nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil: Der Hass und Fremdenfeindlichkeit predigende Éric Zemmour konnte mehr Stimmen als die Republikaner einfahren – seine Wähler sind Le Pen wohl sicher. Vor allem aber hat diese Rechte ihren Kulturkampf gewonnen und Identität zum Hauptthema machen können.

Daher können weltoffen und liberal Gesinnte über das Ergebnis des ersten Wahlgangs zwar erleichtert sein, richtige Freude kommt aber nicht auf. Denn Macron, der als Hoffnungsträger und Überflieger angetreten war, um das Land zu einen und voranzubringen, konnte diesen Rechtsruck nicht verhindern.

Macron steht derzeit nur für die Rente mit 65 und ein konservatives Wirtschaftsprogramm

Und der Mann, der 2017 mit einer schier unbändigen Energie, mit Visionen und Gestaltungswillen angetreten war, hat für eine zweite Amtszeit bisher keine innovativen, überraschenden Ansagen parat, sondern steht eigentlich nur noch für die verhasste Rente mit 65 und ein klassisches konservatives Wirtschaftsprogramm. Damit wird er die Wähler des Linkspopulisten Mélenchon kaum ansprechen. Man darf gespannt sein.

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Doch das starke Abschneiden von Linkspopulisten und Rechtsextremen sowie die erneut gesunkene Wahlbeteiligung zeugen auch von einem mittlerweile tiefsitzenden Missmut gegenüber dem politischen System und der politischen Klasse. Um die Repräsentativität von Wahlen und der gewählten Politiker zu erhöhen, bräuchte es dringend Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen. Macron will, sollte er wiedergewählt werden, immerhin das Verhältniswahlrecht bei den Parlamentswahlen durchsetzen, damit weniger Wählerstimmen verloren gehen. Aber Parlament und Premierminister müssten mehr Entscheidungsgewalt bekommen, das Präsidentenamt welche abgeben.

Vor allem aber muss Macron verstehen, dass er nicht die Würde des Präsidentenamtes, sondern die Republik retten muss: dass der Zulauf der Rechten auch mit der Diskrepanz zu tun hat zwischen der Beschwörung der historischen Größe Frankreichs, die auch Macron betreibt, und der wirtschaftlich-sozialen Realität vieler Franzosen. Und dass diese in die radikale Unzufriedenheit mündet.

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