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El Profesor (l), Charakter aus der Netflix-Serie "Haus des Geldes" und Hugel (r), französischer DJ haben «Bella Ciao» remixed.
© Kontor Records, dpa

Vom Protestsong zum Sommerhit: Für immer "Bella Ciao"

Popkultur vereinnahmt alles - auch italienische Partisanenlieder. Auch dem rechte Innenminister Salvini wurde es im Bus entgegengeschmettert.

Gut, es sind nicht mehr die Reispflückerinnen der italienischen Provinz, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Arbeit oder vielmehr ihre Ausbeutung unter sengender Sonne beklagen; und auch nicht die Partisanen der resistenza, die unter deutscher Besatzung den Heldentod „für die Freiheit“ besingen und zugleich ins private Drama wenden. Heutzutage kommt die Melodie aus dem Internet. Netflix heißt der kommerzielle Überbringer, und der hat die eingängige Melodie von „Bella Ciao“ für seine Serie „Haus des Geldes“ vereinnahmt.

Nun ist die Fortsetzungsgeschichte vom Raubüberfall auf eine Gelddruckerei denkbar fern vom ursprünglichen Lied der Landarbeiterinnen und ebenso fern der Zweitnutzung durch die Partisanen. Aber so ist nun mal die Popkultur, die alles vereinnahmt und marktgängig aufbereitet. Der Markt ist es denn auch, genauer: der Meinungsmarkt, der „Bella Ciao“ zum Sommerhit 2018 emporgetragen hat. Jedenfalls bezeugen Umfragen, dass das Lied oder doch eher die Melodie an die Spitze der sommerlichen Beliebtheitsskala „der“ Deutschen gerückt ist.

Richtig verschwunden war das Lied nie

Vom Partisanenlied zum Sommerhit, das ist dennoch eine erstaunliche Entwicklung. Und bestätigt zugleich das gängige Vorurteil über den angeblichen Charakter der Italiener, das Volk des Sanges und der Sänger*innen zu sein, dem eben noch die härteste Landarbeit und der gefährlichste Kriegseinsatz zum Lied gerinnt. Aber was soll die Vergangenheit – die Melodie zählt. Und die, so das im Auftrag der Musikindustrie meinungsforschende Institut, sei „eingängig“ und verbreite „Urlaubsstimmung“.

Urlaubsstimmung! Das ist nun das Allerletzte, was mit dem ursprünglichen Liedtext in Verbindung gebracht werden könnte. Doch es gibt eine andere, dem Ursprung gemäßere Tradition. Der Zürcher „Tagesanzeiger“, dem romanischen Kulturkreis schon rein geografisch näher, wusste zu berichten, dass die Aktivisten gegen den G-8-Gipfel in Genua 2001die erste Strophe mit den Zeilen „Eines Morgens erhob ich mich/und fand den Eindringling vor“ zu ihrer Kampfeshymne gemacht hatten. So richtig verschwunden, wie es Voraussetzung wäre für ein vollgültiges Remake, war das Lied also nie, auch nicht in seinem ursprünglichen, Widerstand anstachelnden Gehalt.

Den hat es allerdings schon aufs Neue (und mit Video) bewiesen: Dem italienischen Innenminister Matteo Salvini von der „Lega“, der den harten Hund in Sachen Migration gibt, wurde das Lied bei der Busfahrt auf dem römischen Flughafen von empörten Mitreisenden entgegengeschmettert. Könnte es sein, dass dieser Vorfall unsere Vorstellung vom italienischen Volkscharakter aufs Schönste bestätigt?

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