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Drei für ein Ziel!
© Patrick Pleul dpa/lbn, picture-alliance

Was der polnisch-deutsche Motor bewegen kann: Für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die den Namen auch verdient

Nicht nur der Konflikt in der Ukraine zeigt es: Europa braucht ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit, um das dann auch verteidigen zu können. Ein Gastbeitrag.

- Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Andrzej Szejna sitzt als Abgeordneter der Partei SLD im Sejm. Der Text ist ebenfalls in der polnischen Zeitung „Dziennik Gazeta Prawna“ erschienen.

Vor wenigen Monaten haben wir des Kniefalls von Willy Brandt vor 50 Jahren in Warschau gedacht. Symbolträchtige Gesten wie diese und zuvor der Brief der polnischen Bischöfe in den 60er Jahren haben den Weg geebnet zur Versöhnung unserer beiden Völker. Aus der Anerkennung deutscher historischer Verantwortung und beidseitiger Versöhnungsarbeit entstand das Vertrauen, auf dem wir heute gemeinsam unsere Zukunft aufbauen können.

Allerdings ist auf beiden Seiten die Bereitschaft zur Kooperation und Überwindung von Blockaden Voraussetzung, um das Potenzial, das beide Länder in die Waagschale werfen können, noch effektiver zu nutzen. Die gemeinsame deutsch-polnische Zukunft liegt vor allen Dingen in Europa. Wir sind gleichberechtigte Mitglieder in der EU und der Nato. Polen und Deutsche haben erlebt, wie der Eiserne Vorhang unseren Kontinent zerschnitten hat. Die Erfahrung von Diktatur und Unterdrückung verpflichtet uns zum entschiedenen Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - gerade auch innerhalb der EU gegenüber den Regierungen von Polen und Ungarn, die diese Werte verletzen.

Wenn es uns gelingt, unsere verschiedenen historischen Erfahrungen zusammenzuführen, werden wir die Spaltungen in Europa überwinden und aus der gemeinsamen Erinnerung heraus gemeinsames europäisches Handeln entwickeln. An die Adresse der Nationalisten in unseren beiden Ländern sei gesagt: Nationale Souveränität lässt sich auf Dauer nur bewahren, wenn wir europäisch handeln, und unsere Werte und Interessen werden wir nur gemeinsam durchsetzen können.

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Dafür brauchen wir eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen auch verdient. Ein zentrales Element dieser Politik muss ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit in Europa, basierend auf dem Prinzip unverletzlicher Grenzen, sein, der Bereitschaft zu einer engeren wirtschaftlichen Verflechtung und der Stärkung von Demokratie und Menschenrechten. Mit Blick auf Russland bedeutet das, die russische Regierung zur Achtung der europäischen Friedensordnung zu bewegen, gegen die sie in der Ukraine verstoßen hat. Unsere Kapazitäten zur Verhinderung von Cyberangriffen und Desinformationskampagnen müssen wir ausbauen. Aber genauso wichtig ist es, den Dialog mit Russland zu suchen. Russland ist der größte Nachbar der EU. Nur durch Gespräche können wir ungewollte Eskalationen vermeiden.

Gegenüber den Ländern der Östlichen Partnerschaft sollten wir politische und wirtschaftliche Reformen weiter unterstützen. Wir müssen innerhalb der EU eine Kultur des abgestimmten ostpolitischen Handelns entwickeln. Wenn uns das gelingt, wird eine gemeinsame Politik gegenüber unseren Nachbarn außerhalb der EU überhaupt erst möglich. Deutschland und Polen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu - als Vordenker und Motoren einer solchen Politik. Beide Länder haben ein besonderes Interesse an Frieden, Stabilität und Wohlstand in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Die Demokratiebewegung in Belarus erinnert uns an den großartigen Freiheitskampf der Solidarnosc. Auch die Unterstützung für eine nachhaltige Stabilisierung der Ukraine vereint Polen und Deutsche. Wir sollten unsere Bemühungen, weitere EU-Partner dafür zu gewinnen, verstärken und Frankreich über das Weimarer Dreieck eng einbinden.

Kooperationspotenziale schlummern auch in der Verteidigungspolitik

Aber auch in der Verteidigungspolitik schlummern noch Kooperationspotenziale. Polen hat zum Beispiel Interesse signalisiert, beim deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS mitzumachen. Eine solche Kooperation ist auf jeden Fall zu begrüßen. Bereits heute arbeiten wir im Multinationalen Korps Nord-Ost (MNC NE) in Stettin zusammen, und schon jetzt beteiligt sich Polen gemeinsam mit Deutschland und Frankreich an sieben von 24 Initiativen im Rahmen von Pesco. Dies gilt es auszuweiten.

Wirtschaftlich sind Polen und Deutschland eng miteinander verflochten. Beide sind geprägt von einem starken Anteil der Industrie an der Wertschöpfung und stehen daher vor vergleichbaren Herausforderungen. Der Klimaschutz, die Digitalisierung und die Transformation hin zu nachhaltiger Produktion und Mobilität stehen für bislang zu wenig beachtete Kooperationschancen. Beide Länder verbindet das Ziel, bis spätestens 2050 klimaneutral zu wirtschaften und zu leben. Beide Länder sind dabei, den Kohleausstieg umzusetzen. Mehr Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien und bei der Entwicklung emissionsfreier Antriebe sind das Gebot der Stunde.

Deutschland und Polen könnten mit ihrer zum Teil sehr energieintensiven Industrie mit gutem Beispiel vorangehen und auch Wasserstoff als wichtigen Energieträger der Zukunft fördern. Um einen wettbewerbsfähigen europäischen Markt für Wasserstoff zu entwickeln, müssen die Potenziale in den anderen europäischen Ländern strategisch gefördert und genutzt werden. Auch hier kann das Weimarer Dreieck eine stärkere Rolle einnehmen. Für die polnische Volkswirtschaft wird es dabei besonders darauf ankommen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weiter zu erhöhen. Deutschland und Polen sollten deshalb eine umfassende Technologie- und Innovationspartnerschaft schließen und Erfahrungen teilen. Schließlich liegt die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in unserem gegenseitigen Interesse. Transnationale Bahnverbindungen, vor allem eine Schnellzugverbindung Paris-Berlin-Warschau, gehören dabei ganz oben auf die Agenda.

Nils Schmid, Andrzej Szejna

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