Katholische Kirche: Fünf Jahre Papst Benedikt XVI: Im Namen der Kontinuität
Benedikts bisheriges Pontifikat ist gekennzeichnet von hausgemachten Krisen – vor fünf Jahren wurde er zum Papst gewählt.
Es ist kein ungetrübtes Amtsjubiläum: Wenn Papst Benedikt XVI. an diesem Montag auf seine bislang fünfjährige Amtszeit zurückblickt, dann geschieht das auch in dem Wissen, dass die aktuelle Missbrauchsdebatte zum beherrschenden Thema dieses Pontifikats geworden ist.
Die Bewältigung dieses Themas ist nun zur Aufgabe für einen Mann geworden, der von den Kardinälen am 19. April 2005 vor allem deshalb als Nachfolger von Johannes Paul II. gewählt wurde, weil er das Erbe Wojtylas ohne Brüche übernehmen konnte. Allerdings fiel seinerzeit der menschliche Unterschied zwischen den beiden Persönlichkeiten deutlich ins Auge: Nach Johannes Paul II., der in seiner Person, seiner Ausstrahlung, seiner Impulsivität und – am Ende – in seinem die Welt bewegenden Leiden eine übermächtige Figur war, mochten und konnten die Kardinäle keine ähnlich ausgeprägte Persönlichkeit wählen. Für Joseph Ratzinger sprach, dass er damals als oberster Glaubenshüter schon 24 Jahre an Johannes Pauls Seite gestanden und den theologischen Kurs der Kirche geprägt hatte. Damit galt seine Wahl als logische Fortsetzung des Wirkens von Johannes Paul II.
Als Benedikt XVI. schaltete Joseph Ratzinger sehr schnell vom strengen Büchergelehrten, vom „Panzerkardinal“, auf eine Art Leutseligkeit und Bilderwirkung um, wie er sie an Johannes Paul II. gesehen hatte. Er ging die ausgetretenen Wege seines Vorgänger bis hin zur Wahl der Urlaubsorte so sklavisch nach, dass manch einer sich fragte, ob dieser Papst – außer in seinen wortschlankeren, „jugendlicheren“ Predigten – je einen eigenen Stil entwickeln würde.
Getragen wurde Benedikt gerade in Deutschland von einer Euphorie, so als hätte sich mit dem Wechsel vom schwarzen zum weißen Talar auch die zuvor viel kritisierte, konservative Linie Ratzingers geändert. Nichts dergleichen ist eingetreten. Gerade wegen ihres unerwartet ruhigen, fast poetischen Tons haben Benedikts Enzykliken über die Liebe und die Hoffnung eine vergleichsweise breite Aufnahme gefunden. Dass demgegenüber Benedikts Wort zu einer ethisch befriedigenderen Gestaltung der globalisierten Welt unterging, lag im weltfernen Timing des Vatikans: Die Sozial- und Wirtschaftsenzyklika „Liebe in Wahrheit“ sollte im Jahr 2008 erscheinen, dann brach die Finanz- und Wirtschaftskrise herein, und die überarbeitete Version kam vergangenes Jahr buchstäblich am Vorabend des G-8-Gipfels heraus, als alle nur auf die Politik starrten.
Benedikt mag faktisch ein Übergangspapst sein – am vergangenen Freitag ist er 83 Jahre alt geworden, Johannes Paul II. ist mit knapp 85 gestorben – aber zum einen ist nicht absehbar, zu welcher Art verändertem Zustand dieser Übergang führen könnte, zum zweiten hat sich Ratzinger als eigene Persönlichkeit etabliert, zum dritten hat derzeit niemand Anlass, über einen Nachfolger zu spekulieren: nach allem, was zu sehen und zu hören ist, erfreut sich Ratzinger bester Gesundheit.
Inzwischen wird es immer schwieriger, Benedikt XVI. mit seinem Vorgänger zu vergleichen. In der Rückschau verklärt sich das Andenken an Johannes Paul II., dafür geht das „historische“ Wissen um dessen eigene Krisen verloren. Und Wojtylas Amtszeit von mehr als 26 Jahren zu überblicken, ist kaum mehr möglich. In Erinnerung geblieben ist in Deutschland – neben all den Kämpfen um die Sexualmoral – womöglich noch die konfliktreiche Ernennung des einen oder anderen Bischofs, zum Beispiel der Transfer von Joachim Meisner von Berlin auf den Stuhl des Kölner Erzbischofs 1989, welcher erhebliche Proteste gegen Rom zur Folge hatte.
Der entscheidende Punkt bei Benedikt ist, dass neben der derzeit alles beherrschenden, aus der Kirche an ihn herangetragenen Missbrauchsdebatte seine Krisen nahezu alle hausgemacht sind. Es begann im September 2006 mit der Regensburger Rede, in der Benedikt einen mittelalterlichen, byzantinischen Herrscher mit den Worten zitierte, Mohammed habe „doch nur Schlechtes in die Welt gebracht“. Es ging wenige Wochen danach weiter mit dem „Fall Wielgus“. Stanislaw Wielgus sollte auf den prestigereichen Erzbischofssitz von Warschau befördert werden; seine frühere Verstrickung mit dem Staatssicherheitsdienst war dem Vatikan durchgegangen. Wenige Minuten vor dem feierlichen Gottesdienst zur Amtseinführung trat Wielgus zurück. Benedikt ärgerte auch die Juden, als er „der theologischen Klarheit willen“ in die alte Karfreitagsliturgie wieder eine Bekehrungsbitte aufnahm.
Im Frühjahr 2009 ereignete sich dann jener Großunfall, der Benedikts Ansehen auf Dauer geschädigt hat und manchen als Wendepunkt dieses Pontifikats gilt. Von einer „für mich unvorhersehbaren Panne“ sprach Benedikt XVI., als er im März 2009 im Schmollton die Rehabilitierung von vier Traditionalistenbischöfen rechtfertigte; zu spät hatte er entdeckt, dass sich unter diesen der notorische Holocaustleugner Richard Williamson befand. Ob die Panne „unvorhersehbar“ war, ob Benedikts Berater in der Kurie ihn über den Tisch ziehen wollten oder schlicht geschlafen haben, werden irgendwann Historiker klären.
Seit Ratzinger als Theologieprofessor in Tübingen die „68er-Revolte“ erlebt hat – und vor ihr ins beschauliche Regensburg geflohen ist – hat er Angst vor gewaltsamen Brüchen in der Geschichte. Seit er Papst ist, stellt er Mittwoch für Mittwoch in seinen Generalaudienzen Kirchenlehrer aus den ersten Jahrhunderten des Christentums oder Theologen aus dem Mittelalter vor, um die Kontinuität zwischen alter und heutiger Kirche zu verdeutlichen. Den Modernen sagt er bremsend, das Zweite Vatikanische Konzil als die große Kirchenreform des 20. Jahrhunderts wollte und durfte keinen Bruch mit der Vergangenheit darstellen. Die Spaltung der Kirche ist das, was ihn am stärksten plagt.
Tatsache ist aber auch, dass er auf die Ultrakonservativen – etwa mit der allgemeinen Wiederzulassung der Tridentinischen Messe – stärker zugeht als auf die Modernen. Der Tübinger Theologe Hans Küng sieht in Benedikts Pontifikat deswegen „eine Summe verpasster Gelegenheiten und nicht genützter Chancen“.
Benedikt und seine Berater glaubten, die Missbrauchsdebatte vor zwei Jahren zumindest in ihrem ersten, großen Teil abgeschlossen zu haben. Damals „eroberte“ – wie italienische und amerikanische Zeitungen das nannten – Benedikt die USA. Der scheidende Präsident George W. Bush schenkte ihm ein unbeschwertes Geburtstagsfest; der von den Amerikanern als überraschend sympathisch erlebte Papst aber lächelte nicht nur gewinnend nach allen Seiten, sondern richtete auch harte Worte an die eigene Kirche. Pädophile müssten „absolut vom Priestertum ausgeschlossen“ werden, sagte Benedikt, dafür werde man auch „juristische Wege gehen“. Er verlangte eine „Reinigung“ der Kirche und traf sich in Washington demonstrativ mit einigen Missbrauchsopfern.
Noch auf dem Rückflug sagte Pressesprecher Federico Lombardi, indem der Papst das Problem der pädophilen Priester „direkt beim Schopf gepackt“ habe, habe er der „amerikanischen Kirche geholfen, ein Kapitel der Schande und des Schmerzes abzuschließen“. Von „abgeschlossen“ aber kann heute keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Zwei Jahre nach der Papstreise wühlen US-Medien noch tiefer als andere in den Akten, um Joseph Ratzinger ganz persönlich eine systematische, eine geradezu amtliche Vertuschung von Missbrauchsfällen nachweisen zu können.
Die Sache belastet Benedikt in zweifacher Hinsicht: Zum einen macht ihm der „Schmutz im Priesteramt“ als solcher – nach einem früher offenbar fehlendem Problembewusstsein – offenbar schwer zu schaffen und mit ihm das Leiden der Opfer; zum anderen versteht der Papst nicht, weshalb er die unmissverständlichen, harten Worte, die er gegenüber pädophilen Priestern in den USA gesprochen und mit denen er den gesamten irischen Kirchenapparat auf die Knie gezwungen hat, nun für jedes Land einzeln wiederholen soll. Den Vorwurf des „Schweigens“, der Benedikt gerade aus seiner deutschen Heimat so vehement entgegenschlägt, findet man in seiner Umgebung und wohl auch er selbst grob ungerecht.
Gerade im Sturm der letzten Tage aber hat sich gezeigt, dass nun – je mehr sich die Attacken auf die Person des Papstes zuspitzen – die Kirche ihren Steuermann umso stärker stützt. Bischöfe aus aller Welt schicken Solidaritätsadressen an den „makellosen Fels der Kirche“, und an die Stelle der Zerknirschung, die noch im Februar die Kirche und den Vatikan ob des gewaltigen Missbrauchsskandals in Irland in ihrem Banne hatte, tritt zunehmend die Empörung über „die Angriffe aus den Medien“.
Doch Benedikt ist im Denken von seinem Apparat unabhängig genug, als dass er sich an diese polemische Wende nach außen anhängte. Erst diesen Donnerstag hat er „die Kirche“, und damit auch seine eigenen Leute zu etwas aufgefordert, „was uns Christen in jüngster Zeit oft zu hart schien“: zur Buße. Benedikt sagt: „Jetzt, unter den Angriffen der Welt, die uns unsere Sünden vorhalten, erkennen wir, dass Buße tun zu können eine Gnade ist; wir sehen, wie notwendig Buße ist, die Anerkennung dessen, was falsch ist in unserem Leben.“ Der „Schmerz der Buße, der Schmerz der Reinigung und der Umkehr, der ist Gnade und führt zur Erneuerung.“