Corona-App aufs Handy laden?: Frühzeitig über eine Infektion informiert zu werden, ist Anreiz genug
Am Dienstag soll die Corona-App vorgestellt werden. Die App käme viel zu spät, sagen einige. Doch das ist in doppelter Hinsicht falsch. Ein Kommentar.
Am Dienstag soll es soweit sein: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will endlich die deutsche Corona-Warn-App vorstellen. Kritik gibt es schon vorab. Die App käme viel zu spät, hört man aus vielen Ecken – vom Bonner Virologen Hendrik Streeck bis zum Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble.
Doch das ist in doppelter Hinsicht falsch: Erstens war eine frühere Fertigstellung kaum möglich. Die entscheidenden Schnittstellen von Apple und Google gibt es erst seit weniger als vier Wochen, und ohne diese Technik funktioniert die App nur beschränkt.
Das zeigen gerade die vielen Beispiele in anderen Ländern, wo Warn-Apps früher angeboten wurden. In Singapur saugt sie den Akku von iPhones rasant leer, in Österreich mussten Nutzer Kontakte lange manuell bestätigen – was die Grundidee ad absurdum führt, Begegnungen mit Unbekannten zum Beispiel in Bahnen oder Bars nachträglich rückverfolgen zu können. Solche Probleme sollte die deutsche App nicht haben.
Der zweite Fehler wäre es zu glauben, man bräuchte die App gar nicht mehr, da die Pandemie ja weitgehend überstanden sei. Gerade jetzt, wo in immer mehr Bereichen das Leben sich wieder der Normalität annähert, kommt die Warn-App richtig. Denn mit jeder Lockerung steigt auch die Gefahr, dass die Infektionszahlen wieder steigen: Beispiele dafür gibt es zur Genüge. Umso besser also, wenn es nun ein einfaches Werkzeug geben wird, um Infektionsketten schneller und leichter auf die Spur zu kommen.
Die App kommt zur rechten Zeit
Es wäre schön, wenn die Pandemie weiter abflacht und Millionen App-Nutzer nie eine Warnung erhalten. Doch sollte tatsächlich eine zweite Welle heranrollen, können die Menschen in Deutschland froh sein, die Corona-App zu haben. Und darum wäre es auch gut, wenn möglichst viele Smartphone-Besitzer – also deutlich mehr, als das bisher in Umfragen bekundeten – sie auch installieren.
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Wer wirkliche Datenschutzbedenken hat, sollte, bevor er sich über die Corona-Warn-App den Kopf zerbricht, besser erst mal WhatsApp, Facebook und Instagram deinstallieren und seine Einstellungen bei Google Maps überprüfen. Bei all diesen Diensten ist es deutlich wahrscheinlicher, dass private Informationen auf Servern im Silicon Valley landen.
Persönliche Informationen bleiben außen vor
Aber Apple und Google wissen selbst genau, wie sensibel das Thema ist und haben daher größtes Interesse, jeglichen Missbrauch der App auszuschließen. Das System ist so konstruiert worden, dass keine persönlichen Informationen gespeichert werden.
Das mögen manche Gesundheitsexperten bedauern, denn die Virusbekämpfung wäre mit einem Rundumüberwachungssystem nach asiatischem Vorbild noch effektiver. Doch dafür bescheinigen auch unzählige unabhängige Computer- und Datenschutzexperten der App ihre Unbedenklichkeit.
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Viele Fehler wurden dagegen in der Anfangsphase des Projektes gemacht. Das rächt sich nun. Vor allem die großspurigen Versprechen der ersten Entwicklergruppe, das Programm sei spätestens Ostern fertig, haben falsche Erwartungen erzeugt.
Unprofessionelles Auftreten mancher Politiker
Auch viele Politiker agierten nicht sonderlich professionell mit ihren weitreichenden Überlegungen und Forderungen, die App gleich als Immunitätsausweis und Zugangsberechtigung für Restaurants oder Geschäfte zu nutzen. Das hat viele mögliche Nutzer abgeschreckt. Auch hier hat die Regierung dazu gelernt und setzt nun komplett auf das Prinzip Freiwilligkeit.
Der größte Fehler wäre es allerdings, sich nun wieder mit Vorschlägen zu überbieten, mit welchen Anreizen man die Nutzung attraktiver machen könnte. App-Nutzer dürfen keinerlei Vorteile und Nichtnutzer keinerlei Nachteile haben.
Frühzeitig über die erhöhte Gefahr einer womöglich tödlichen Infektion informiert zu werden, ist Anreiz genug. Dennoch ist die App auch keine Wunderwaffe im Kampf gegen Pandemie. Das zu versprechen, wäre ebenfalls unsinnig. Sie kann, so wie sie konstruiert ist, helfen, aber nicht schaden. Und im Zweifel kann man sie auch jederzeit wieder vom Smartphone löschen.
Oliver Voss