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Seit zehn Jahren sind die US-Soldaten im Irak. Die Lage dort hat sich nicht verbessert.
© dpa

Vor zehn Jahren begann der Irak-Krieg: Frieden bleibt ein Fremdwort

Vor genau zehn Jahren sind amerikanische Truppen in den Irak einmarschiert. Der Diktator wurde gestürzt, doch das Land hat keinen Frieden gefunden. Welche Gefahren gehen davon aus?

Die Entwicklung im gesamten Mittleren Osten ist im Fluss. Umstürze in einem einzigen Land können die strategische Konstellation der ganzen Region verändern. Darauf richteten sich die Hoffnungen der USA, als sie den Krieg zum Sturz Saddam Husseins vor zehn Jahren begannen. Daraus wurden große Befürchtungen, als die US-Politik im Irak scheiterte und es aussah, als werde der Iran der größte Nutznießer der neuen Dynamik sein. Inzwischen wirkt der Ausgang des Bürgerkriegs in Syrien wichtiger. Mit dem Sturz Assads würde sich der Einfluss Irans auf die Hisbollah im Libanon stark reduzieren.

Barack Obama hat das Kapitel Irak für sich abgeschlossen. Am zehnten Jahrestag des amerikanischen Irak-Feldzuges reist er nicht nach Bagdad, sondern nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. Der US-Präsident nimmt einen weiteren Anlauf, Frieden zu stiften in einer Region, die nicht zuletzt durch den Irak-Einmarsch vor zehn Jahren zu den gewalttätigsten und instabilsten des Globus zählt. Am Vorabend des Jahrestags kam es zu einer erneuten Gewaltwelle: Bei einer Anschlagsserie in Bagdad und anderen Städten wurden mindestens 50 Menschen getötet, mehr als 170 verletzt. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen Schiiten. Das Land ist 15 Monate nach dem Abzug des letzten US-Soldaten keineswegs befriedet, obwohl mittlerweile auf 50 Einwohner ein Polizist oder Soldat kommt.

Mehr als 110 000 Iraker haben seit 2003 ihr Leben verloren sowie 4800 Soldaten der Invasionstruppen. 16 000 Menschen aus den Bürgerkriegsjahren 2006 bis 2008 werden immer noch vermisst. 60 Milliarden Dollar Aufbaumittel sind in das ramponierte Land geflossen, „mit geringen positiven Effekten“, wie jetzt der Abschlussbericht des US-Bevollmächtigen für die Rekonstruktion im Irak bilanzierte. Acht Milliarden Dollar sind spurlos verschwunden, insgesamt hat der Krieg im Zweistromland die USA wohl mehr als 1000 Milliarden Dollar gekostet.

Bagdad ist das Zentrum der Gewalt, doch auch in den Provinzen gärt es. „Wir leben wie Außenseiter" skandierten die Demonstranten in Ramadi und Falludja. Immer wieder blockieren tausende die Autobahn zwischen Bagdad und Jordanien, eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes. „Raus mit dem Iran“ und „Maliki ist ein Lügner“, riefen sie wütend – der Irak erlebt seit drei Monaten die größte Protestwelle der sunnitischen Minderheit seit dem Sturz von Saddam Hussein. Ausgelöst wurden die anhaltenden Unruhen Ende 2012, als Regierungschef Nuri al Maliki neun Leibwächter des sunnitischen Finanzministers Rafaie al Esawi verhaften ließ. Ihnen wird vorgeworfen, an politischen Auftragsmorden beteiligt zu sein. Ein Jahr zuvor hatte sich der Premier bereits in einer ähnlichen Aktion den sunnitischen Vizepräsidenten Tareq al Hashemi vorgeknöpft. Finanzminister Rafaie al Esawi ist inzwischen zurückgetreten, ebenso Landwirtschaftsminister Ezzedine al Dawleh. Damit warfen zwei der wichtigsten sunnitischen Kabinettsmitglieder das Handtuch.

So fordern die Demonstranten jetzt auch den Rücktritt von Regierungschef Maliki und ein Ende der schiitischen Machthegemonie. Ihr kriegszerstörtes Land hinkt weiter von einer politischen Krise zur nächsten, immer wieder hart am Rande eines neuen Bürgerkriegs. Das Parlament in Bagdad liegt seit 2010 praktisch lahm. Die öffentliche Verwaltung ist ein Hort von Nepotismus und Inkompetenz. Stromnetz, Schulsystem, Gesundheitsversorgung und Straßen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Der 79-jährige kurdische Präsident Dschalal Talabani, der bisher so manchen Konflikt entschärfen konnte, liegt mit einem Schlaganfall in der Berliner Charité.

Gleichzeitig träumen immer mehr irakische Sunniten von einer eigenen autonomen Region, angrenzend an Jordanien und Syrien – ähnlich wie die Kurden im Norden. Ein Sturz des Alawiten Assad und seines Baath-Regimes in Syrien durch sunnitische Rebellen, so das Kalkül, werde ihrem Anliegen regionalpolitischen Aufwind geben. Umgekehrt fürchten sie, der Iran könnte nach dem Verlust seines engsten Verbündeten Syrien versuchen, die schiitische Führung in Bagdad künftig noch stärker an die Kandare zu nehmen. Regierungschef Nuri al Maliki hingegen machte ganz im Stil nahöstlicher Autokraten „ausländische Elemente und Verschwörer“ für die zunehmenden Turbulenzen verantwortlich.

Amerika blickt zehn Jahre nach Kriegsbeginn mit Katerstimmung auf den Irak. Zwei Drittel der Bürger meinen, das Land sei die US-Opfer an Soldaten und Aufbau-Milliarden nicht wert gewesen. Die außenpolitischen Experten fürchten die Risiken, die sich aus den schwelenden Konflikten im Irak und der unkontrollierten Dynamik in Syrien ergeben können. Manche wünschen sich wie die Kurden neue Grenzziehungen nach ethnischen Kriterien, andere nach Religionszugehörigkeit. Und wieder andere wollen die jeweilige Regierungsform – Monarchie, religiöse Diktatur, Stammesherrschaft – umstürzen. Von Frieden und Stabilität scheint die Region genauso weit entfernt wie vor zehn Jahren.

Martin Gehlen, Christoph von Marschall

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