zum Hauptinhalt
Heinrich Bedford Strohm ist seit November dieses Jahres Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und seit 2011 Landesbischof in Bayern.
© Doris Spiekermann-Klaas

EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm: „Fremdenfeindlichkeit ist nicht vereinbar mit christlichem Glauben“

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, spricht im Tagesspiegel-Interview über seinen Heiligen Abend, über Fremdenfeindlichkeit und Frömmigkeit als Zukunftsmodell.

Sie stehen seit November an der Spitze der evangelischen Kirche. Wie waren die ersten Wochen?

Ich erlebe eine sehr intensive Zeit mit unglaublich vielen Terminen und Antrittsbesuchen. Gerade komme ich vom Bundespräsidenten.

Wie verbringen Sie Heiligabend?
Ich werde mittags mit Menschen Gottesdienst feiern, die in schwierigen sozialen Situationen leben. Anschließend helfe ich zusammen mit meiner Frau und meinen Söhnen dem Ehrenamtlichen-Team, ihnen Schweinebraten zu servieren. Nachmittags treffe ich Flüchtlinge in der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung.

Kommt Ihre Kirchengemeinde nicht zu kurz?
Flüchtlinge und Menschen mit sozialen Problemen sind auch Gemeinde. Am 25. predige ich in der Bischofskirche. Das passt alles gut zusammen.

Evangelische Gemeinden sind oft sehr homogen und nicht immer offen für Fremde.
Ich habe einen anderen Eindruck. Gerade Kirchengemeinden helfen den Flüchtlingen. Ich war gerade in Vorra in Mittelfranken, wo drei Heime angezündet wurden, die für Flüchtlinge vorgesehen waren. Die Menschen, die sich auf die Flüchtlinge vorbereitet hatten, das waren evangelische Christen. Sie lassen sich nicht entmutigen und sagen: Jetzt erst recht.

In Dresden und anderswo gehen tausende Menschen auf die Straße und wollen das christliche Abendland gegen die Islamisierung verteidigen. Sie gehen im Namen Christi auf die Straße. Verstehen Sie das?
Fremdenfeindlichkeit ist nicht zu vereinbaren mit dem christlichen Glauben. Jesus hat uns das Doppelgebot der Liebe mit auf den Weg gegeben: Gott lieben und den Nächsten lieben. Jesus selbst sagte: „Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen.“

„Pegida“ hat in Ostdeutschland besonders viel Zulauf. Hängt das damit zusammen, dass es dort kaum Christen gibt? 
Da wage ich kein Urteil. Bemerkenswert ist, dass die Angst vor dem Islam und vor den Flüchtlingen am größten ist, wo die wenigsten Muslime leben. Das zeigt, wie wichtig es ist, Menschen zu begegnen.

Wo treffen Sie Muslime?
Ich habe vor ein paar Tagen 50 Vertreter muslimischer Gemeinden aus Bayern zur Adventsandacht eingeladen. Ich lasse mich auch gerne zum Iftar-Essen einladen. Da treffe ich keine radikalen Islamisten, sondern die vielen, die hier einfach als Muslime friedlich leben wollen.

Fühlen Sie sich anderen gläubigen Menschen näher als nicht gläubigen?
Ich fühle mich allen Menschen nahe. Jesu Doppelgebot der Liebe macht keine Unterscheidungen. In vielen gesellschaftlichen Fragen schließen wir Bündnisse über die Religionen hinaus. Wenn es etwa um den Schutz der Schwachen in der Gesellschaft geht, steht nicht an erster Stelle, ob jemand religiös ist oder religionskritisch.

In jüngster Vergangenheit gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit religiöser Konnotierung von der Beschneidung übers koschere Schlachten bis zur Sonntagsruhe. Da fanden die Religiösen untereinander schneller eine gemeinsame Sprache als mit den anderen.
Das liegt daran, dass viel religiöses Wissen verloren gegangen ist. Es gibt viele Klischees, Religionen werden an ihren fundamentalistischen Verzerrungen gemessen oder an einem Bild von vor 100 Jahren. Deshalb braucht es eine religiöse Alphabetisierung. Wer Kirche heute realistisch sieht, merkt, wie viele Menschen sich für andere einsetzen und in gewisser Weise auch zur Avantgarde der Gesellschaft gehören. Ich erwarte, dass das Religionskritiker zur Kenntnis nehmen.

Wie und wo könnte diese Alphabetisierung stattfinden?
Die Schule hat die Aufgabe, zu erklären, was Christen glauben, und auch, was Muslime oder Juden glauben. Das ist eine übergeordnete Aufgabe auch dort, wo es keinen Religionsunterricht gibt. Den Religionsunterricht sollten wir Kirchen sehr pflegen und Ressourcen investieren, um ihn gut zu machen. Wir haben aber auch die Aufgabe, mit erwachsenen Menschen ins Gespräch zu kommen, die Distanz zur Kirche halten. Ich mache da gute Erfahrungen. Mich interessiert auch, was sie an uns kritisieren.

Wenn eine Kirche geschlossen werden muss, stellt sich oft die Frage der Nachnutzung. Sollte man aus einer Kirche etwas Weltliches machen oder den religiösen Charakter erhalten und sie zum Beispiel in eine Moschee umwandeln?
Jedes Kirchengebäude hat eine Geschichte. Da wurde gebetet, der Segen gesprochen, geheiratet und getauft. Das ist in die Mauern eingeschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus so einem Ort ein Kaufhaus wird, in dem nicht mehr der Mensch zählt, sondern der Kommerz.

In den vergangenen Wochen wurde über ein Burka-Verbot diskutiert. Brauchen Teile der CDU eine religiöse Alphabetisierung?
Für mich ist es wichtig, einer Person ins Gesicht schauen zu können, wenn ich mich mit ihr unterhalte. Deshalb stehe ich der Vollverschleierung sehr kritisch gegenüber. Aber ein Burka-Verbot? Das war eine Phantom-Diskussion. In München sind viele Menschen aus arabischen Ländern zu Gast. Selbst da habe ich noch nie eine Burka gesehen.

Ist Religionsfreiheit eine Frage der Zahl?
Ein Gesetz dient dazu, Gefahren abzuwehren. Die Körperbedeckung durch Verschleierung oder Burka ist nichts, was durch ein Gesetz abgewehrt werden müsste. Das ist ein Thema, das in der Zivilgesellschaft und im Dialog der Religionen erörtert werden muss.

Befürworter eines Burka-Verbots argumentieren weniger mit der Gefahr, sondern mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, das angeblich verletzt wird.
Das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist ein unaufgebbares Recht. Deswegen müsste darüber gesprochen werden, wie Frauen die Verschleierung wahrnehmen. Als etwas, das ihre Rechte beschneidet? Oder als etwas, das ihrer Persönlichkeit entspricht? Das genau muss Gegenstand der Debatte sein, die ich meine.

Wenn die Vollverschleierung Ausdruck der Selbstbestimmung wäre, würden Sie es akzeptieren?
Sie würde mir trotzdem fremd bleiben. Aber dann würde ich erst recht sagen: Ein gesetzliches Verbot ist nicht der richtige Weg.

Fühlen Sie sich manchmal von Muslimen nicht ernst genommen?
Nein, die Erfahrung habe ich nicht gemacht. Aber Muslime wundern sich oft darüber, dass Christen ihnen den Kern ihres eigenen Glaubens nicht erklären können: die Trinitätslehre.

Viele Christen aus Syrien und dem Irak mussten fliehen. Sollten wir in Europa christliche Flüchtlinge bei der Aufnahme bevorzugen?
Natürlich stehen wir mit den Christen in besonderer Verbindung, viele Gemeinden haben seit Jahren Partnerschaften in den Irak oder nach Syrien. Aber wer für Christen eintritt, muss sich für alle Menschen in Not einsetzen. Christen sind nicht mehr wert, weil sie Christen sind. Häufig gehören Christen in der Region jedoch zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen.

Ist eigentlich das Abendland von der Islamisierung bedroht oder das Morgenland?
Beide Erdteile sind bedroht von der Gewalt im Namen der Religion, also von einer pervertierten Form von Religion. Die Herausforderung ist, dass die Religionen zur Kraft des Friedens werden. Wir sollten alle Muslime stärken, die das auch so sehen.

Sollte die Kirche in Deutschland Anwalt für den Islam sein?
Nicht Anwalt für den Islam, aber Anwalt der Religionsfreiheit. Weil sich Religionsfreiheit einem urchristlichen Impuls verdankt: dem Gewissen. Dafür hat sich auch Martin Luther starkgemacht – auch wenn er selbst Juden und Muslime Rechte vorenthalten wollte.

2017 jährt sich Luthers Thesenanschlag zum 500. Mal. Sie haben angeregt, zum Jubiläum auch den Papst einzuladen. Sollten auch Muslime und Juden dabei sein?
Martin Luther wollte das Evangelium neu zur Geltung bringen. Das wollen wir als gemeinsames Christusfest mit Katholiken und Orthodoxen feiern. Der Reformation ging es nie darum, eine bestimmte Konfession zu stärken, sondern die Kirche zu erneuern. Ich sehe da viel ökumenischen Willen auf allen Seiten, neu aufzubrechen.

Katholiken wollen kein „Jubiläum“ feiern. Sie sprechen lieber von „Gedenken“. Welchen Begriff benutzen Sie?
Ich verwende beide Begriffe. Wir feiern ein Jubiläum, weil wir uns über die Impulse freuen, die Martin Luther uns gegeben hat. Die katholische Kirche hätte auch Grund, sich darüber zu freuen. Denn viele von Luthers Impulsen haben auch ihre Kirche verändert. Doch wir müssen auch die dunklen Momente der Kirchenspaltung bedenken, etwa die Konfessionskriege. Oder was Martin Luther über die Juden gesagt hat. Das ist unerträglich. Wir wollen kein Heldengedenken.

Warum sollte sich heute jemand für Martin Luther interessieren?
Vieles, was Luther und die evangelische Kirche zu bieten haben, trägt zu einem guten Leben bei. Zum Beispiel, dass man nicht immer nur aus der Knappheit lebt, sondern aus der Fülle. Wir leben in einem so wohlhabenden und sicheren Land. Das müssen wir doch mal wahrnehmen und dafür dankbar sein. Ich glaube, Frömmigkeit ist ein Zukunftsmodell. Wenn ich jeden Tag wiederhole: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“, dann macht das etwas mit mir. Dann sickert das in meine Seele ein. Dann werde ich wirklich dankbar.

Müssen wir wieder beten lernen?
Gebete können bei der Bewältigung des Alltags helfen. Zum Beispiel ein Bußgebet. Luther hat den Begriff Sünde übersetzt mit „in uns selbst verkrümmt sein“. Wie viele Streitereien entstehen, weil sich Menschen in sich selbst verkrümmen. Durch ein Gebet kann sich die Verkrümmung lösen und wir können uns wieder ausstrecken zu anderen.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Malte Lehming.

Zur Startseite