Schweden-Wahl 2018: Fremdenfeindlichkeit ist jetzt auch in Schweden salonfähig
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten werden bei der Wahl in Schweden drittstärkste Partei. Das hat sich abgezeichnet. Ein Kommentar.
Und jetzt also tatsächlich Schweden. Eine Nation, stolz auf ihren Wohlfahrtskapitalismus, sozialen Frieden und das hohe Ansehen durch zahlreiche Hilfsaktionen in der ganzen Welt, erlebt heftige politisches Turbulenzen. Dem Land könnte nach der Wahl eine lange Hängepartie bevorstehen. Die rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen Schwedendemokraten (SD) unter ihrem Chef Jimmie Åkesson sind der Gewinner der Abstimmung in dem skandinavischen Land mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern – zum dritten Mal in Folge. Sie legen erneut zu auf jetzt fast 18 Prozent, bleiben - Stand jetzt - drittstärkste Partei. Allerdings hatten sie sich nach den Umfragen noch deutlich mehr erhofft.
Die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Stefan Löfven, der bisher eine rot-grüne Minderheitsregierung führte, entgehen der ganz großen Katastrophe, nach der es am Sonntagabend zunächst aussah, zwar offenbar. Die Partei bleibt mit rund 28 Prozent zwar stärkste Kraft (vor den bürgerlichen Moderaten mit 19 Prozent), erzielt aber das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg, verliert jeden zehnten Wähler. Nicht zuletzt Löfven, dem seine Kritiker Führungsschwäche und fehlende Ausstrahlung vorwerfen, wird die Pleite angelastet. Spätestens mit ihm hat die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (S) in Schweden ihre politische DNA verloren – die Partei, die wie keine andere den Begriff des Volksheims prägte und mit Inhalt füllte. Und es ist auch eine Ohrfeige für Mitte-Links.
Damit setzt sich ein Trend fort, den schon andere europäische Demokratien erfahren mussten: Österreich, Tschechien, Frankreich, Italien, die Niederlande und Deutschland. Und auch eine skandinavische Geschichte bekommt ein neues Kapitel: In Norwegen, Dänemark und Finnland sind rechte Parteien bereits direkt an Regierungen beteiligt oder aber so stark, dass sie diese vor sich hertreiben.
Unklar ist zurzeit, wie nun eine neue Regierung aussehen soll. Zumal sich, das berichtet die Zeitung "Dagens Nyheter", das Ergebnis noch weiter verändern kann, weil am Mittwoch die Stimmen der Auslandsschweden eingerechnet werden. Große Koalitionen sind in Schweden bisher nicht üblich.Nach derzeitigem Stand könnte die Mitte-Rechts-Allianz aus Moderaten, Sozialdemokraten und zwei liberalen Parteien aber Löfven stürzen, wenn sie sich mit den SD kooperieren. Eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten haben zwar eigentlich alle Parteien ausgeschlossen. Ob diese Isolation hält, bleibt abzuwarten. Gut möglich, dass die SD zum Zünglein an der Waage werden.
Mit Blick auf die reinen Fakten mag das Wahlergebnis verwundern. Schweden steht wirtschaftlich gut da. 2018 wird ein Wachstum von drei Prozent erwartet, die Arbeitslosenquote ist im landesweiten Durchschnitt so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Allerdings: Der Anstieg der Einkommensunterschiede ist so hoch wie in keinem anderen OECD-Land. Neben dem reformbedürftigen Gesundheits- und Bildungssystem war dies ein großes Wahlkampfthema – und einer der Ansatzpunkte der SD. Sie schürte die Angst der Schweden vor dem sozialen Abstieg, warf der Koalition vor, sie habe die Gesellschaft gespalten, das Gefühl der Ausgrenzung verstärkt, das Sozialsystem ausgetrocknet.
Doch das eigentliche Thema der SD ist ist wie für die deutsche AfD die Zuwanderung. Der 39-jährige Åkesson, der die Partei - 1988 gegründet - 2010 mit 5,7 Prozent erstmals in den Reichstag führte und 2014 ihr Ergebnis bereits verdoppelte, fährt eine Art Doppelstrategie. Einerseits bemüht sich der Web-Designer und Studienabbrecher wo es nur geht, die SD von ihren ohne Frage vorhandenen Nazi-Wurzeln zu distanzieren, verpasste der Partei blau-gelbe Blumen als Logo und präsentiert sich als perfekter Schwiegersohn: adrett gekleidet und gut frisiert.
Die Löfven-Regierung verschärfte das Asylrecht drastisch
Andererseits lassen seine Aussagen keine Zweifel an seiner Gesinnung. So nennt er Muslime die „größte äußere Gefahr seit dem Zweiten Weltkrieg“ und sagt von sich selbst: „Ich war schon immer ein Nationalist.“ Im Wahlkampf gab er denn auch den Hardliner gegen die Zuwanderung – wissend, damit den Nerv vieler zu treffen – und das, obwohl für Schweden Einwanderer zum Alltag zählen. Von den 50er bis in die 80er Jahre halfen zahlreiche Arbeitskräfte aus Finnland, Griechenland, Italien oder Spanien beim wirtschaftlichen Aufschwung des Landes. Später nahm das Land Kriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien auf; ebenso wie danach Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.
Dann kommt das Jahr 2015. Mehr als 160.000 Asylsuchende strömen nach Schweden – die höchste Zahl pro Einwohner unter den europäischen Ländern. Zwischen 2012 und 2017 wurden fast 230.000 Asylanträge bewilligt, mehr als ein Drittel von Syrern. 2017 waren von den Einwohnern Schwedens 18,5 Prozent in einem anderen Land geboren. Wie in Deutschland wirkten Regierung und Behörden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise überfordert. Tausende Migranten mussten in überfüllten Turnhallen campieren, auch in Schweden gab es Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Ein Chemnitz hat Schweden zwar noch nicht erlebt; aber ganz offenbar hat sich das diffuse „Jetzt ist genug“-Gefühl bei vielen Schweden verfangen.
Die Löfven-Regierung reagierte zwar, verschärfte das Asylrecht drastisch, setzte den Familiennachzug aus, und der Premier versprach für den Fall seiner Wiederwahl eine Politik, die den Zuzug „langfristig eindämmt“ und den „Rückhalt der schwedischen Bevölkerung hat“. Aber wie das Wahlergebnis zeigt, hat Åkesson es längst geschafft, Fremdenfeindlichkeit salonfähig zu machen. Er hat es geschafft, Wähler zu mobilisieren, die sich nicht als rechtsextrem verstehen. Selbst Bürger aus anderen südlichen EU-Staaten spüren Ressentiments, die, wie sie sagen, vor zehn Jahren in der Öffentlichkeit nicht toleriert worden wären. „Wohin willst Du das Geld investieren – in die Wohlfahrt oder in die Einwanderung?“, fragte Åkesson Löfven im Reichstag. Und kurz vor der Wahl stellte er sein neues Buch vor: „Det Moderna Folkhemmet“ – „Das moderne Volksheim“.
In die Hände spielt den Populisten, dass es auch in Schweden berechtigte Zweifel daran gibt, dass alle Migranten sich integrieren wollen; es gibt teilweise erhebliche Sprachprobleme und vor allem in den Vorstädten der Metropolen Stockholm, Göteborg und besonders Malmö Parallelgesellschaften. Und in diesen Problemvierteln, wo die Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Leuten sehr hoch ist, steigt die Zahl der Gewaltverbrechen rasant. Allein 2017 wurden in Schweden 40 Menschen durch Schüsse getötet. Ein Polizist, der seit Jahrzehnten in Malmö Dienst macht, sagte dem Sender Phönix, an nahezu 100 Prozent aller Schießereien in Malmö seien Personen beteiligt, die einen Migrationshintergrund hätten und zu Banden gehörten.
Ein leichtes Spiel also für einen Fremdenhasser wie Åkesson. Was der smarte Parteichef nie sagt, ist, dass sein Land selbst eine lange Emigrationsgeschichte hat. Zwischen 1850 und 1920 wanderten rund 1,5 Millionen Schweden aus, die meisten in die USA, wo Namen wie Anderson und Johnson noch heute an die schwedischen Wurzeln erinnern. Getrieben wurden Åkessons Vorfahren von Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit.
*in einer früheren Version dieses Artikels waren die Schwedendemokraten als zweitstärkste Kraft nach der Wahl benannt worden. Dies wurde nach der Auszählung der Stimmen am Abend aktualisiert