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Kleiner Pieks, großer Schutz. Doch bei der Impfpflicht gegen Masern gibt es noch manche Unklarheit.
© Owen Humphreys/PA Wire/dpa

Experten sehen Probleme mit geplanter Impfpflicht: Freikauf, fehlende Kontrolle, Masernpartys

Gegen Masern müssten sich künftig sogar Homöopathen impfen lassen. Doch ansonsten ist beim Gesetz von Gesundheitsminister Spahn noch vieles unklar.

Die nette Pointe vorneweg: Wie das Gesundheitsministerium bestätigt, soll die geplante Masern-Impfpflicht auch für Heilpraktiker und Homöopathen gelten. Um Patienten vom Impfen abraten zu dürfen, müssten die Alternativheiler künftig also selber geimpft sein.

Tatsächlich birgt das geplante Masernschutzgesetz, dessen Entwurf das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch beschlossen hat, aber auch anderweitig einiges an Potenzial für Ärgernisse und Konflikte. Unnötigerweise, wie der FDP-Abgeordnete und langjährige Infektionsmediziner Andrew Ullmann findet. Die Vorgaben von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) enthielten „viele inhaltliche Widersprüche“, sagte er dem Tagesspiegel.

FDP-Politiker warnt vor Ungleichbehandlung

Etwa bei der vorgesehenen Beschränkung der Masern-Impfpflicht auf nach 1970 Geborene. Zwar sei es richtig, dass in dieser Bevölkerungsgruppe vermehrt Impflücken bestehen. Aber auch unter den älteren Jahrgängen seien nicht alle durch bereits durchgemachte Maserninfektionen immun.

Ein weiteres Problem seien die betroffenen Berufsgruppen. „Die Reinigungskraft im Krankenhaus wird unter die Impfpflicht fallen, die Busfahrerin oder der Kassierer im Supermarkt, mit viel größerem Potential Infektionserreger zu verbreiten, nicht.“ Insofern, warnt Ullmann, könnten bei dem geplanten Gesetz, „verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen bestehen."

Thorsten Kingreen sieht das etwas gelassener. Zu rechnen sei zwar mit Einzelfall-Konflikten, sagte der Regensburger Experte für Sozial- und Gesundheitsrecht dieser Zeitung. Große verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen würden die Regelungen zum Masernschutz aber wohl nicht entfachen. Wobei der Rechtsprofessor einräumt, dass im Steuerrecht schon mal eine Vorgabe für verfassungswidrig erklärt worden sei, weil die Einhaltung keiner Kontrolle unterlag.

Hoher Aufwand für Kontrollen

Die Überprüfung könnte auch bei der Impfpflicht schwierig werden. Ohne Kontrolle wäre die gesetzliche Vorgabe nicht viel wert. Doch entsprechende Verfahren bedeuteten „einen immensen bürokratischen Aufwand“, sagt Ullmann. Und wer sagt denn, dass impfkritische Ärzte ihren Patienten, ihrem Personal oder sich auch gegenseitig nicht einfach nur Gefälligkeitsgutachten ausschreiben, auf denen vermeintliche Immunität oder Impfunverträglichkeiten attestiert sind?

Kontraindikation zum Impfen und Immunitäts-Bescheinigung seien nicht gesetzlich, sondern medizinisch definiert, sagt Ullmann. Die Ausstellung falscher Atteste sei von daher auch strafbar. „Es dürfte jedoch schwer sein, solche Straftaten aufzudecken, ohne alle Ärztinnen und Ärzte unter Generalverdacht zu stellen.“ Eine derartige Misstrauenskultur könne „keiner ernsthaft wollen“.

Zwei Prozent der Bürger können nicht geimpft werden

Für die Umsetzung des Gesetzes seien die Länder zuständig, heißt es im Ministerium dazu lediglich. Deren Gesundheitsämter könnten bei den zur Masernimpfung Verpflichteten Nachweise anfordern – „und zwar unabhängig davon, ob diese einen solchen Nachweis bereits gegenüber der Leitung der Einrichtung erbracht haben“.

Nach Schätzungen des Robert- Koch-Instituts können rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland nicht gegen Masern geimpft werden. Das entspricht etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Es handelt sich dabei um Säuglinge, Schwangere und Menschen mit Immundefiziten.

Was ist mit ungeimpften Schulkindern, die nicht ausgeschlossen werden dürfen?

Ein Problem ist auch die Schulpflicht. Denn anders als Kita-Kinder dürfen ungeimpfte Schüler nicht einfach vom Unterricht fernbleiben. Doch was, wenn finanziell gut gestellte Eltern einfach mal die Geldbuße von 2500 Euro zahlen, um ihrem Kind die Impfung zu ersparen?

„Ein Ausschluss vom Besuch der Schule kann bei schulpflichtigen Personen nicht ausgesprochen werden“, heißt es im Gesundheitsministerium auf Tagesspiegel-Nachfrage – und zwar auch dann nicht, wenn keine Masernimpfung nachgewiesen werden könne. Eine Zwangsimpfung komme ebenfalls „in keinem Fall in Betracht“.

Nach dem Bußgeld kämen Zwangsmittel

Es dürfe „nicht so sein, dass sich diejenigen, die es sich leisten können, vom Impfen ihrer Kinder freikaufen können, indem sie schlicht ein Bußgeld zahlen“, sagt Ullmann. Zwar seien in Spahns Entwurf auch Zwangsmittel vorgesehen. „Diese müssten die Behörden dann aber auch durchsetzen. Ob es hier wirklich eine einheitliche Vollstreckungspraxis geben wird, da habe ich meine Zweifel.“

Zwangsmaßnahmen seien "für einen Rechtsstaat immer ganz schwierig," bestätigt der Rechtsexperte Kingreen. Bei den vehementen Impfgegnern handle es sich ja glücklicherweise um eine Minderheit. Doch wenn diese Leute tatsächlich die sogenannte Herdenimmunität, also Gesundheit und Leben von Mitmenschen gefährdeten, werde man konsequenterweise so weit gehen müssen. Wobei es auf die Formulierung ankommt: Im Gegensatz zu einem „Bußgeld“, das nur einmal verhängt werden dürfe, könne ein „Zwangsgeld“ immer wieder verhängt werden – um, wie der Name schon sagt, etwas zu erzwingen.

Im Gesetz ist von beidem die Rede, von Bußgeld wie von Zwangsgeldern. Und auf die Möglichkeit, gegen die Eltern von Schulkindern im Falle von besonders hartnäckiger Impfverweigerung ein Zwangsgeld zu ergeben, verweist auch das Ministerium. Das obliege dann aber den zuständigen Behörden der Bundesländer, sagte eine Sprecherin.

Fünf Prozent der Bürger lehnen Impfungen ab

Nach einer Repräsentativbefragung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2016 liegt die Zahl der Bürger, die Impfungen ablehnen, bei fünf Prozent. Darauf verwies im Mai die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine FDP-Anfrage. Unentschlossen äußerten sich 18 Prozent, also nahezu jeder Fünfte.

Am niedrigsten ist die Quote für eine vollständige Masernimpfung übrigens in Baden-Württemberg, sie lag dort zum Schulbeginn 2017 bei nur 89,1 Prozent. Die angestrebte Impfquote von mindestens 95 Prozent auch für die zweite Masernimpfung wurde nur von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg erreicht.

Angst vor "Masern-Partys"

Er hoffe nicht, sagt Ullmann, „ dass sogenannte Masernpartys und andere Veranstaltungen, in denen Kinder von ihren Eltern bewusst mit Infektionserregern in Kontakt gebracht werden, durch dieses Gesetz zunehmen werden“. Masernpartys seien für ihn „Körperverletzung, die zu bestrafen ist“. Masernpartys waren Anfang der 2000er Jahre vor allem in Großbritannien verbreitet, als die Masernimpfung fälschlicherweise mit Autismus in Zusammenhang gebracht wurde.

„Ein solches Verhalten von Sorgeberechtigten ist auf jeden Fall verantwortungslos gegenüber den Kindern“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Mit den Mitteln des Masernschutzgesetzes könnten solche Veranstaltungen aber „naturgemäß nicht verhindert werden“.

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