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Gelungene Selbstironie oder Verzweiflungstat? Funktionäre der FDP Brandenburg überkleben ihr eigenes Plakat
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"Keine Sau braucht die FDP": Freie Demokratische Pointe

Die FDP im Osten versucht verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen. Die Brandenburger Kampagne "Keine Sau braucht die FDP" gefällt nicht jedem.

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Man kann sich das Gesicht von FDP-Chef Christian Lindner gut vorstellen, als er vor einigen Tagen erfuhr, mit welcher Botschaft sein liberaler Landesverband Brandenburg die Bürger zur Stimmabgabe bei der Landtagswahl am 14. September aufruft. Seit fast einem Jahr müht sich Lindner, die FDP nach ihrem Rausschmiss aus dem Bundestag im politischen Gespräch zu halten. Und dann steht in Potsdam auf großflächigen Werbeträgern in Gelb-Blau: „Keine Sau braucht die FDP!“ Man sei wenig amüsiert gewesen, heißt es in Lindners FDP-Zentrale zurückhaltend.

Zumal die knackige Botschaft keinesfalls als Scherz gedacht ist, um müde Brandenburger wachzurütteln. So sei „nun einmal tatsächlich die Stimmung im Land“, erklärte Landeschef Gregor Beyer am Donnerstag. Er sei im Land unterwegs gewesen. „Dieser Satz hat etwas mit den Leistungen, genauer gesagt: Nichtleistungen in der früheren Bundesregierung zu tun. Wir haben die Bundestagswahl verdient verloren“, sagt der FDP- Mann Beyer. Auch er selbst habe es seiner Partei „nicht abschließend verziehen“, dass entgegen den Versprechungen „nicht einmal versucht wurde, eine Steuerreform anzugehen“. Und weil das so ist, hat die FDP in Potsdam gemeinsam mit der Berliner Agentur „Himmel & Jord“ den Entschluss gefasst, die Menschen dort abzuholen, wo sie die FDP verorten, nämlich im politischen Nirgendwo: seit einem Jahr nicht mehr im Bundestag vertreten, in Brandenburg „statistisch nicht messbar“, wie es im Soziologendeutsch heißt, und ohne eine Agenda, die die Menschen überzeugt.

Glaubt man den Trendmessungen der Demoskopen, dann liest sich der Satz von der „Sau“ wie ein Menetekel für die Zukunft der gesamten FDP. Denn in Thüringen, wo auch im September gewählt wird, ist der Landtagseinzug für die FDP in weiter Ferne. Und auch in Sachsen – hier wählen die Bürger Ende August –, dem einzigen Land, in dem die Liberalen noch mitregieren, ist das Erreichen der Fünfprozenthürde alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Kann sich Christian Lindners Partei in keinem der drei ostdeutschen Länder behaupten, rückt nicht nur das Ziel eines Wiedereinzugs in den Bundestag 2017 in weitere Ferne. Auch Lindners eigener Kurs zur Erneuerung der FDP steht dann infrage.

Umfrage: Mitglieder sehen FDP als "Partei der Besserwisser und Streithammel"

Dass die Lage schlimmer ist als befürchtet, hat eine Umfrage unter den Liberalen Mitte des Jahres ergeben. Deren Ergebnis: Sogar die Mitglieder sehen ihre FDP als „Partei der Besserwisser, Streithammel, Querleger“ und unfähig zum politischen Gestalten. Selbst den Widerstand ihrer Parteiführung gegen die Vorratsdatenspeicherung nehmen die Liberalen übel. Für sie ist das kein Ausweis von Bürgerrechtssinn, sie sehen darin vielmehr einen Beleg für die Unfähigkeit der FDP, politisch pragmatische Lösungen zu finden.

Christian Lindner
Christian Lindner
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Lindner hat bereits vor Wochen die Notbremse gezogen und einen Kursschwenk eingeleitet. Er hat sich Rat bei der niederländischen Schwesterpartei geholt, die sich 2006 nach einem ähnlichen Debakel vollkommen neu aufgestellt und ihr Profil mit der Beratungsgesellschaft „Fischer Appelt“ umgekrempelt hat und nun wieder mitregiert. Und er hat die „Boston Consult“-Unternehmensberatung engagiert. Im Herbst soll eine Strategiedebatte in der Partei starten, und man darf davon ausgehen, dass die FDP dabei praxisnäher, lösungsorientierter und alles in allem linksliberaler werden wird. Also: mehr Politik für Frauen, Familien und Normalbürger. Weniger Steuersenkung und Euro-Rettung. Der „Säuselliberalismus“, wie ihn einst Rainer Brüderle verlachte, wird wohl zum neuliberalen Grundsatzprogramm erklärt.

Lindners Problem: Er wird Anhänger verlieren. Wahrscheinlich zuerst in Sachsen. Dort hat der Stadthalter Holger Zastrow so etwas wie ein Stillhalteabkommen mit der Mutterpartei verfasst. Der Parteivorsitzende darf im Wahlkampf Interviews in Leipzig, Dresden oder Pirna geben. Sonst aber keiner aus der Partei, der nicht Sachse ist. Zastrows FDP war schon immer anders als der Rest der Partei: wirtschaftsorientierter, staatsskeptischer, sicherheitspolitisch orientierter, „rechter“, sagen manche. Programmatisch näher an der AfD als am eigenen bundespolitischen Parteiprogramm. Ein Linksschwenk könnte ganz zur Abspaltung führen – und zwar nicht nur in Sachsen.

Die Brandenburger starten nun den zweiten Teil ihrer Kampagne. Die „Sau“ wird seit Donnerstag überklebt, mit „Störern“, Slogans, die auf Landesprobleme hinweisen. Nun kann das Wahlvolk lesen, dass „jeder Arbeitslose“ die FDP braucht, „damit neue Jobs kommen“, jeder Autofahrer, damit marode Landesstraßen saniert werden, oder auch „jede Lesbe“, damit „Toleranz in der Gesellschaft herrscht“. Das Ziel: Nur nicht unter die Aufmerksamkeitsschwelle geraten.

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