Kurz vor der EM: Frankreich wird durch Streiks lahmgelegt
Frankreich wird von Streikenden und Revoltierenden lahmgelegt. Und das nur zwei Wochen vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft.
Benzin wird knapp, Barrikaden brennen, Straßen werden blockiert – und jetzt sogar Atomkraftwerke bestreikt: Im Kampf in Frankreich um die Reform des Arbeitsrechts sind die Fronten zwischen den französischen Gewerkschaften und der sozialistischen Regierung in Paris verhärteter denn je.
Am Donnerstag, dem achten Aktionstag, folgten erneut Tausende von Arbeitnehmern den Aufrufen der Gewerkschaft CGT und sechs weiterer Arbeitnehmerorganisationen gegen das Reformgesetz. Es soll durch Lockerungen der gesetzlichen 35-Stunden-Woche und der strikten Regeln bei betriebsbedingten Entlassungen den Unternehmen die Möglichkeit geben, Arbeitszeiten und Umfang der Belegschaften an Änderungen am Markt flexibel anzupassen.
20 Prozent der landesweit 12000 Tankstellen mussten wegen der fortgesetzten Blockade von Raffinerien und Treibstoffdepots leere Zapfsäulen anzeigen. Die Streikbewegung griff mit Aufrufen zur Arbeitsniederlegung in Atomkraftwerken und der Blockade des U-Boot-Hafens von Cherbourg auf weitere, infrastrukturell höchst sensible Bereiche über. Und: Zum Beginn der Fußball-Europameisterschaft am 10. Juni meldeten zwei Gewerkschaften unbegrenzte Streiks bei den Pariser Verkehrsbetrieben an. In einem ohnehin angespannten Klima verschärft diese Zuspitzung zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel die Lähmung des Landes.
Fast alle Präsidenten Frankreichs machten Erfahrungen mit gewaltsamen Revolten
Angesichts der Proteste, die teils zu Konfrontationen zwischen gewalttätigen Aktivisten und der Polizei führten, macht Präsident François Hollande Erfahrungen wie die meisten seiner Amtsvorgänger. Aus Protest gegen eine Reform des Rechts für Berufsanfänger, die Präsident Jacques Chirac 2000 plante, legten Tausende von Schülern und Studenten tagelang ihre Unterrichtsstätten lahm. Gegen die Rentenreform, die Chiracs konservativer Nachfolger Nicolas Sarkozy 2010 durchsetzte, gingen 1,2 Millionen Franzosen auf die Straße. Bei Schlägereien mit der Polizei gab es 2254 Festnahmen, zahlreiche Verletzte, unter ihnen 72 Ordnungskräfte.
Nur in einem Punkt war Sarkozy besser dran: Seine rechtsbürgerliche Regierung konnte sich im Parlament auf eine geschlossene Mehrheit stützen. Dagegen muss Hollandes sozialistischer Premierminister Manuel Valls mit einer Fronde rebellischer Abgeordneter der eigenen Partei rechnen, die entschlossen sind, das Reformgesetz zu Fall zu bringen. In der Nationalversammlung hatte er deshalb die Behandlung des Gesetzes mit der Vertrauensfrage nach Artikel 49,3 der Verfassung verbunden, womit es ohne weitere Debatte in erster Lesung angenommen war. Der Regierung wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als das Verfahren zu wiederholen, wenn das Gesetz nach der zweiten Lesung im Senat Anfang Juli zur definitiven Abstimmung in die Nationalversammlung kommt.
Die zwischenzeitlich verloren wirkenden Proteste gegen die Neufassung des Arbeitsrechts sind nicht nur wieder in aller Munde – Hollande steht unter immensem Druck, und die Regierung stellt sogar, wenn auch ohne konkret zu werden, den Gewerkschaften ein Entgegenkommen in Aussicht.