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Flüchtlingskinder mit ihren Müttern im Flüchtlingslager "Voena rampa" in Sofia, Bulgarien.
© dpa

Besserer Flüchtlingsschutz: Flüchtlinge können in der EU kaum legal Schutz suchen

Angesichts weiter steigender Flüchtlingszahlen müssen sich die EU-Staaten auf ein faires System der Verantwortungsteilung einigen, fordern Mitarbeiter der deutschen Stiftung für Integration und Migration sowie der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ein Gastkommentar.

Bis 20. Juli 2015 müssen sämtliche Richtlinien des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystem" (GEAS) im nationalen Recht der Mitgliedstaaten verankert sein. Dann sollen Flüchtlinge in der gesamten Union gleiche Mindestbedingungen bei der Aufnahme und Versorgung, beim Zugang zum Asylverfahren und bei den Asylentscheidungen vorfinden. Eine vollständige Umsetzung der Richtlinien ist dringend erforderlich, aber angesichts des bisherigen Umsetzungstempos vorerst nicht zu erwarten. Zudem steht ein wirksamer Flüchtlingsschutz auch nach der Umsetzung in Frage, denn drei zentrale Probleme bleiben absehbar bestehen. Alle drei können gelöst werden – den politischen Willen der Mitgliedstaaten vorausgesetzt.

Flüchtlinge haben kaum legale Möglichkeiten, um in der EU Schutz zu suchen. Faktisch können sie nur auf illegalen Wegen in die EU kommen, um Asyl zu beantragen. Diese Wege werden immer aufwendiger und gefährlicher. Wenn die EU-Staaten weitere humanitäre Katastrophen an den Außengrenzen verhindern wollen, müssen sie nicht nur die Transitstaaten bei deren Bemühungen um eine eigene Asylpolitik unterstützen, sondern auch legale Zugangswege nach Europa bieten.

Hierfür gibt es eine Reihe von Optionen, die sorgfältig diskutiert werden müssen: Die EU könnte insbesondere den Herausforderungen der syrischen Flüchtlingskrise mit der Schaffung eines gemeinsamen humanitären Aufnahmeprogramms ("Temporary Protection") sowie einer Ausweitung der Programme zur dauerhaften Ansiedlung anerkannter Flüchtlinge ("Resettlement") begegnen. Im Hinblick auf das "klassische Asyl" könnte es Schutzsuchenden ermöglicht werden, in den EU-Auslandsvertretungen Asylanträge zu stellen ("Botschaftsasyl"). Eine weitere Option ist die Einrichtung europäischer Asylzentren in EU-Nachbarregionen, in denen entschieden wird, ob ein Asylbegehren so vielversprechend ist, dass ein Visum für die EU erteilt werden kann ("exterritoriale Verfahren"). Bei all diesen Optionen wäre in Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) sicherzustellen, dass sie Verfolgten tatsächlich Schutz bieten.

Die Qualität des Flüchtlingsschutzes und die Chancen auf Anerkennung unterscheiden sich in den Mitgliedstaaten immer noch erheblich: Im Jahr 2012 variierte beispielsweise die Schutzquote für Asylbewerber aus dem Irak je nach EU-Mitgliedstaat zwischen 92 und 2,9 Prozent. Ähnlich weit klaffen die Standards der Unterbringung, die Versorgung der Flüchtlinge und die Angebote zur Integration auseinander. Von einem einheitlichen Flüchtlingsschutz kann noch keine Rede sein.

Zweifellos würde die vollständige Umsetzung der überarbeiteten Richtlinien in nationales Recht den Flüchtlingsschutz in Ländern wie Griechenland, Ungarn oder Zypern verbessern. Allerdings verfügen Rat und Kommission kaum über Zwangsmaßnahmen, um Mitgliedstaaten zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bewegen. Und tatsächlich ist es vielversprechender, auf Anreizsysteme zu setzen: Mitgliedstaaten können durch massive und zielgerichtete Unterstützung in die Lage versetzt werden, rechtstreu zu handeln. Die Instrumente dafür gibt es auf EU-Ebene bereits, etwa in Gestalt des Asyl-Unterstützungsbüros (EASO) oder des neuen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF). Allerdings ist die Ausstattung beider Instrumente angesichts der aktuellen Herausforderungen viel zu gering. Gerade das EASO müsste dringend personell und ideell gestärkt werden.

Jeder Staat sollte eine faire Aufnahmequote erhalten

Die Asylbewerber sind immer noch höchst ungleich in der EU verteilt. So haben im vergangenen Jahr fünf EU-Staaten, nämlich Deutschland, Schweden, Italien, Frankreich und Großbritannien, drei Viertel aller Asylverfahren durchgeführt. Wenn es im Zuge weiter steigender Flüchtlingszahlen nicht bald zu einer fairen Verteilung der Verantwortung kommt, werden diejenigen gestärkt, die sich generell gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stellen. Problematisch ist, dass auch die neue Dublin-III-Verordnung nichts an der bisherigen Regelung für die Asylzuständigkeit ändert: Das Land der Ersteinreise in die EU bleibt für Unterbringung und Verfahren verantwortlich. Damit ist die ungleiche Verteilung der Asylbewerber weiterhin im Dublin-System angelegt. Wenn eine gemeinsame EU-Asylpolitik langfristig funktionieren soll, führt an der Reform dieses Systems kein Weg vorbei.

Als Lösung bietet sich an, für jeden Mitgliedstaat eine faire Aufnahmequote zu ermitteln, die sich nachvollziehbar an den Kapazitäten des Landes orientiert. Diese Quote ließe sich über die Faktoren Bevölkerung, Wirtschaftskraft, Größe und Arbeitslosigkeit bestimmen. Die "fairen Quoten" könnten als Grundlage für die Durchführung von Asylverfahren, für die Aufnahme von (Bürger-)Kriegsflüchtlingen oder für ein Resettlement dienen. Ein solches "Mehrfaktorenmodell" könnte auf zweifache Weise genutzt werden: Zum einen könnte, wenn die Zahl der Flüchtlinge die jeweilige Landesquote überschreitet und der betreffende Staat einen Ausgleich wünscht, eine gewisse Zahl von Flüchtlingen auf andere EU-Staaten verteilt werden. Zum anderen könnte ein finanzieller Mechanismus geschaffen werden, der die Aufnahmestaaten für die Flüchtlingsaufnahme entschädigt oder sogar belohnt. Dabei müsste allerdings sichergestellt werden, dass einzelne Mitgliedstaaten einen solchen Fonds nicht dazu missbrauchen, die Zahl der Asylbewerber niedrig zu halten und sich "freizukaufen".

Erst eine politische Einigung auf ein solches faires System der Verantwortungsteilung würde die gemeinsame Flüchtlingspolitik entscheidend voranbringen. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen dürfen die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission eine grundlegende Reformdiskussion nicht scheuen.

Jan Schneider leitet den Forschungsbereich des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Steffen Angenendt forscht in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Demografie, Entwicklungszusammenarbeit und Migration. Daniela Kietz forscht in der Forschungsgruppe EU/Europa der SWP zu Justiz und Innerem in der EU. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Text ist auch auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt" veröffentlicht worden.

Steffen Angenendt, Daniela Kietz, Jan Schneider

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