Mon BERLIN: Fifty Shades of Griechenland
Ich kann den Herren in Deutschland nur eines raten: Vorsicht vor den Griechen! Lassen Sie die Damen nicht aus den Augen, wenn Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis hier sind.
Seit die zwei Musketiere aus Griechenland auf der Fechtbahn des internationalen politischen Establishments ihre Degen der sozialen Gerechtigkeit zücken, zieht sich ein tiefer Riss durch das deutsche Volk.
Um jegliches Missverständnis zu beseitigen und zu einer fairen Lösung der griechischen Krise beizutragen, schlage ich vor, in Deutschland zwei getrennte Volksabstimmungen durchzuführen. Objektivität kann es in dieser brisanten Frage nur geben, wenn die Geschlechter getrennt entscheiden. Die Männer auf der einen Seite. Die Frauen auf der anderen. Stammtisch gegen Kaffeekränzchen. Die Herren werden von Schlitzohren sprechen, von Faulpelzen, von Schwärmern, die viel zu großzügige Versprechungen machen und ihre Schulden nicht bezahlen wollen – zwei Hallodris, zwei prinzipienlose Filous, die für ihre Interessen zu allem bereit sind, sogar dazu, die ollen Kamellen der Kriegsschulden auszugraben.
Dieses blaue Hemd, das aus der Hose hängt! So wunderbar lässig!
Bei den Frauen dagegen klingt alles ganz anders, da werden andere Töne angeschlagen. Ist es Ihnen aufgefallen? Seit diese beiden Beaux mit ihrem strahlenden Sex- Appeal die in altmodische Anzüge gezwängte graue Politikerkaste Europas herausfordern, sind die deutschen Frauen hin und weg. Die Köpfe wenden sich, die Knie werden weich, die Gemüter verlieren sich in köstlichen Träumereien, die, das kann ich Ihnen versichern, mit dem Dogma der Haushaltsdisziplin nicht viel zu tun haben. Kürzlich saß ein halbes Dutzend Frauen jeden Alters zum Mittagessen zusammen. Schnell wird das Gespräch vom Strom süßer Phantasien davongetragen. Alexis Tsipras: endlich mal ein bisschen Charme und Energie. Dieses Titelbild im "Spiegel"! Diese Augen! Yanis Varoufakis: Dieses blaue Hemd, das aus der Hose hängt! So wunderbar lässig! Und die Lederjacke! Und das Motorrad! Ein bisschen Macho, klar, aber was soll’s. „Mit dem würde ich gern mal einen Kaffee trinken“, gesteht eine angeregte Stimme am Tischende. „Und ich könnte mir weiß Gott noch ganz andere Sachen vorstellen“, feixt eine andere. Kollektiver Lachanfall. Sechs Frauen nicken. Ja und noch mal ja. Zwei Griechen haben das Berliner Februargrau einfach zerrissen.
Ich kann Ihnen nur eins raten, meine Herren Deutsche: Vorsicht vor den Griechen! Lassen Sie die Damen nicht aus den Augen! Die Ankunft der beiden Südländer erinnert mich an „La kermesse héroïque“ („Die klugen Frauen“), den wunderschönen Schwarz- Weiß-Film aus den Dreißigerjahren. Während der spanischen Besetzung bedroht der Herzog von Olivares, spanischer Gesandter, im Jahr 1616 mit seinen Truppen die kleine flandrische Stadt Boom. Panik bei den Bürgern und den Kaufleuten. Der Bürgermeister rät zum Gehorsam und stellt sich tot. Die kopflosen Männer verstecken sich in Kellern und Speichern. Die Frauen, von der Feigheit ihrer Männer angewidert, entscheiden sich für den Widerstand mit ihren eigenen Waffen: List und Charme. Gut gekleidete Kavaliere treffen ein, mit lockigen Haaren und feinen Spitzenhemden. Sie riechen gut, sie sind schön, sie sind galant, sie wissen, wie man mit Frauen spricht. Und die sind rasch erobert. Süden entflammt Norden. Die kleine Stadt verwandelt sich in einen Garten der Lüste. Und als die Invasoren im Morgengrauen davonreiten, lassen sie sehnsüchtige flämische Bürgerinnen zurück. Die dicken Ehemänner, rotgesichtig und aufgedunsen, kommen zurück – bei den Damen herrscht Katerstimmung.
Ungestillte Sehnsüchte
Diese Eroberungen der Griechen und ihr Tatendrang werden sicher nicht lange anhalten. Schon wird damit gedroht, ihnen den Geldhahn zuzudrehen und ihnen das Rückgrat zu brechen. Schon werden ihre Ambitionen gezügelt. Aber wenn die grauen Herren sie schließlich matt gesetzt haben, wenn die Deutschen die Kontrolle über ihre Frauen zurück gewonnen haben … welche ungestillten Sehnsüchte werden die Träume der weiblichen Bevölkerung auch weiter möblieren. Ein gewisses Bedauern wird bleiben, kein Zweifel.
Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.