Gesundheit: FDP will Praxisgebühr abschaffen
Die Gebühr für Arztbesuche ist seit jeher umstritten. Die Liberalen wollen sie nun abschaffen, denn ihre Steuerungswirkung ist unklar – doch die Union sperrt sich.
Die einen müssen sie zahlen, die andern eintreiben, und beiden ist sie verhasst. Weder Patienten noch Ärzte würden der im Jahr 2004 eingeführten Praxisgebühr eine Träne nachweinen. Nach der Opposition hat sich deshalb nun auch die um die Wählergunst bangende FDP das Ende der Zwangsabgabe aufs Banner geschrieben. „Ersatzlos abschaffen“, lautet die Forderung ihrer Experten.
Das Meinungsbild sei „eindeutig“, hieß es nach einem Treffen der FDP-Arbeitsgruppe am vorigen Dienstag. Die Gebühr entfalte nicht die von den Erfindern erhoffte Steuerungswirkung. Die zehn Euro pro Quartal seien „ein Nervfaktor für alle Beteiligten“. Und momentan lasse sich auch der Einnahmeausfall von etwa zwei Milliarden Euro „bestens verkraften“.
Unterstützung erhalten die Fraktionsexperten aus Schleswig-Holstein, wo der Wahlkampf läuft. Der Zeitpunkt, sich endlich von dem „unsinnigen Instrument“ zu verabschieden, sei angesichts der gegenwärtigen Krankenkassenüberschüsse ideal, sagte der dortige Gesundheitsminister und FDP-Chef Heiner Garg dem Tagesspiegel. Die Arztpraxen könnten nun von überflüssiger Bürokratie und die Patienten von einer Abgabe befreit werden, deren Erhebungsaufwand für sie „in keinem Verhältnis“ stehe. Er empfehle „den Kollegen der Union ganz dringend, sich hier jetzt nicht weiter zu zieren“. Die Forderung sei die „logische Konsequenz“ aus der Erkenntnis, dass das Ansinnen, mit der Gebühr die Zahl unnötiger Arztbesuche zu senken, „grandios gescheitert“ sei. Mit dem Versuch, die Kassenüberschüsse „nun meistbietend unters Volk zu bringen“, habe der Vorstoß nichts zu tun, versicherte der FDP-Politiker.
Schon kommende Woche wollen die FDP-Experten im Bund versuchen, die Union auf ihre Seite zu bringen. Das könnte schwierig werden. Die Liberalen müssten „schon einen konstruktiven Vorschlag machen, wie man anderweitig eine Steuerungswirkung hinbekommt“, verlangt der CDU-Politiker Jens Spahn. „Einfach abschaffen ist zu wenig.“ Und die CSU wehrt sich sowieso gegen jegliche Änderung. Momentan sollte man „weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausgabenseite an irgendwelchen Rädchen drehen“, beharrt ihr Experte Johannes Singhammer. Die Sparmaßnahmen zeigten Wirkung, nun benötige man „Verstetigung und Vertrauen“. Das gelte auch für die Praxisgebühr.
Im Koalitionsvertrag jedoch haben die Regierenden vereinbart, das Thema anzupacken. Man wolle die Zahlung der Gebühr in ein „unbürokratisches Erhebungsverfahren überführen“, heißt es da. Auf Anfrage der Grünen gab Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Flach (FDP) zu, dass die Koalition darüber „noch nicht beraten“ habe. Allerdings gilt es in Fachkreisen als bekannt, dass der Patientenobolus sein Ziel, Patientenströme zu lenken, verfehlt hat. Faktisch dient er nur als zusätzliches Finanzierungsinstrument – und erhöht die Folgekosten, weil er Kranke vom Arztbesuch abhält. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein vom Ministerium in Auftrag gegebener und bislang unveröffentlichter Prüfbericht des Krankenkassen- Spitzenverbands, der dem Tagesspiegel vorliegt. Es gebe „keine eindeutigen Hinweise auf nachhaltige Steuerungswirkungen“ durch die Zuzahlungen, heißt es darin. Stattdessen zeigten Studien, „dass die Praxisgebühr insbesondere bei einkommensschwachen Versicherten bei vorliegenden Krankheiten zu einer Verzögerung oder Vermeidung von subjektiv notwendigen Arztbesuchen geführt hat“.
Wegen der Gebühr vermieden „konstant 15 bis 20 Prozent der Befragten den Arztbesuch“, hieß es 2007 im Bertelsmann-Gesundheitsmonitor. Besonders betroffen: die unteren Schichten. Und bei einer Umfrage zwei Jahre später kam heraus, dass sich jeder Zehnte deshalb auch Vorsorge und Früherkennung erspart. Aus Unkenntnis, denn solche Untersuchungen sind ausdrücklich zuzahlungsbefreit. Ein Rückgang der Arztbesuche insgesamt lässt sich dagegen nicht nachweisen. Mit 8,2 Konsultationen pro Kopf und Jahr liegt Deutschland weiter um 1,7 Punkte über dem Schnitt der OECD-Länder.