Mehr Ölförderung in Nordsee gegen Tempolimit?: FDP und Grüne feilschen um Plan, um loszukommen von Putins Öl
Im Koalitionsvertrag heißt es: Keine neue Öl- und Gasförderung in der Nordsee. Die FDP will das ändern, die Grünen sind offen – wenn es ein Tempolimit gibt.
Um die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren, schlägt Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner eine umgehende Überprüfung des Koalitionsvertrags vor. Dieser sieht bisher ein Verbot für neue Öl- und Gasbohrungen in Nord- und Ostsee vor. „Wir müssen die Festlegung des Koalitionsvertrages, in der Nordsee den Abbau von Öl und Gas nicht fortsetzen zu wollen, hinterfragen“, sagte Lindner in einem Interview mit dem Tagesspiegel.
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„Aufgrund der Entwicklung der Weltmarktpreise scheint dies wirtschaftlicher zu werden,“, sagte Lindner weiter. Zumindest für eine Übergangszeit werde Deutschland noch Öl und Gas brauchen. „Ich halte es vor dem veränderten geopolitischen Hintergrund für ratsam, ohne Denkverbote die gesamte Energiestrategie unseres Landes zu prüfen“, appellierte er an die Grünen, sich einer Ausweitung der heimischen Öl- und Gasförderung zu öffnen und neue Bohrgenehmigungen mitzutragen.
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Zugleich brauche es auch andere Energieimportquellen. „Deutschland wird ein Energieimportland bleiben. Autarkie bleibt Wunschdenken. Wir brauchen andere Quellen, also Wasserstoff aus Südeuropa oder Afrika, synthetische Kraftstoffe aus Südamerika, Flüssiggas über neue Terminals und bessere Verbindungen der Infrastrukturen innerhalb Europas“, betonte Lindner. „Das müssen wir mit Lichtgeschwindigkeit umsetzen. Die Energiepreise treiben uns.“
Bisher werden überschaubare Mengen gefördert
Nach Angaben des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) wurden zuletzt rund 1,9 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr gefördert, vor allem in der Nordsee. Dazu rund fünf Milliarden Kubikmeter Gas. Bei der heimischen Erdölförderung war bisher das Jahr 1965 mit 7,8 Millionen Tonnen und bei Erdgas das 1999 mit 21,2 Milliarden Kubikmetern das ertragreichste.
Die meisten Gebiete liegen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe belaufen sich die sicheren Erdölreserven in Deutschland auf etwa 17,9 Mio. Tonnen. Die sicheren Erdgasreserven betragen 22,3 Milliarden Kubikmeter.
Grüne zeigen sich offen - unter Bedingungen
Die Grünen zeigen sich offen dafür, mehr Erdöl und Erdgas in der deutschen Nordsee zu fördern. „Wir prüfen, ob und unter welchen Bedingungen eine Erhöhung der Öl- und Gasförderung in Deutschland kurzfristig möglich ist“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Oliver Krischer, dem Tagesspiegel.
Zugleich stellte er für die Grünen im Gegenzug aber Bedingungen: Zu prüfen seien auch solche Maßnahmen, mit denen kurzfristige Verbrauchssenkungen erreicht werden könnten. „Allen voran ein Tempolimit“, forderte Krischer von Lindner eine Aufgabe seines Widerstands gegen ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen.
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Erdölbranche: Können Förderung in Nordsee steigern – wenn Politik das will
Die in Deutschland bisher nicht wirtschaftlich gewinnbaren Erdgasmengen werden insgesamt auf 1,36 Billionen Kubikmeter geschätzt. Die zusätzlichen konventionellen Erdölressourcen belaufen sich auf rund 20 Millionen Tonnen. Da die Bundesregierung nun statt auf einen Großlieferanten auf viele verschiedene Lösungen setzen will, könnte hier ein gewisses Zusatzpotenzial liegen. „Die Förderung in Deutschland in geringem Umfang zu erhöhen ist denkbar, wenn Politik, Gesellschaft und Behörden unsere Aktivitäten unterstützen“, betonte eine Sprecherin des BVEG auf Tagesspiegel-Anfrage.
In Deutschland wurden zuletzt pro Jahr etwa 96 Millionen Tonnen Erdöl und rund 87 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht (Zahlen für 2020). Deutschland importierte dabei 28 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland und 56,3 Milliarden Kubikmeter Gas kamen aus dem von Präsident Wladimir Putin regierten Land.
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Lindner gegen Spritpreisbremse und Tempolimit
Trotz der Rekordpreise an den Tankstellen lehnt Lindner eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für Benzin und Diesel weiterhin ab. „Wenn die Union eine so genannte Spritpreisbremse fordert, dann muss sie sagen, was sie im Haushalt kürzen will“, sagte er.
„Oder sie muss bekennen, dass sie dafür neue Schulden aufzunehmen bereit ist. Vor dieser Klarheit hätte ich Respekt, aber leider bleibt die Union die Antworten schuldig“, kritisierte Lindner die Vorschläge der größten Oppositionspartei im Bundestag. „So leicht kann ich es mir als Bundesfinanzminister nicht machen.“ Entgegen der Vermutung vieler werde der Fiskus auch nicht reich durch die steigenden Spritpreise. „Wenn vom verfügbaren Einkommen eines Haushalts ein höherer Anteil für Sprit aufgewendet wird, kommt es zu einer Verschiebung der Mehrwertsteuer, allerdings nicht zu einer Erhöhung des Aufkommens. Die Menschen halten sich dann an anderer Stelle mit Konsum zurück“, sagte Lindner.
Parallelen zur Ölkrise vor 50 Jahren
In der Ölkrise 1973/1974 hatte die damalige sozial-liberale Bundesregierung unter Zustimmung der FDP vier autofreie Sonntage und ein auf sechs Monate befristetes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf anderen Straßen beschlossen.
Angesprochen darauf lehnte Lindner ein generelles oder ein befristetes Tempolimit auch als Maßnahme zur Reduzierung des Spritverbrauchs in der aktuellen Preiskrise ab. „Angesichts der hohen Spritpreise gibt es einen natürlichen Impuls, weniger zu verbrauchen“, betonte Lindner, dass die Bürger auch von sich aus den Fuß vom Gaspedal nehmen könnten. „Wir haben einen Krieg in Europa, von dem nicht nur menschliches Leid ausgeht, sondern auch massive Versorgungsrisiken. Symbolische Debatten muss ich da anderen überlassen.“ Im Koalitionsvertrag waren die Grünen mit der Tempolimit-Forderung am FDP-Widerstand gescheitert, sehen jetzt aber neue Möglichkeiten.
Öl- und Gasboykott Russland? "Davon rate ich ab!
Einen generellen Öl- und Gasboykott Russlands lehnt Lindner trotz entsprechender Forderungen auch führender FDP-Politiker weiter ab. „Uns muss es darum gehen, maximalen Druck auf Russland aufzubauen und zugleich unsere strategische Durchhaltefähigkeit möglicherweise sehr lang aufrechtzuerhalten. Deshalb sollte von unserer Seite die Energieversorgung nicht ohne Not in Frage gestellt werden“, betonte der Finanzminister.
„Wir haben das System Putin durch Sanktionen massiv getroffen. Insbesondere die Maßnahmen, die sich gegen die Zentralbank richten, haben die russische Wirtschaft auf Talfahrt geschickt, den Rubel entwertet und russische Staatsanleihen auf Ramschniveau gebracht“, betonte Lindner. „Solche Maßnahmen müssen wir verstärken, weil sie unsere Position gegenüber Russland verbessern. Maßnahmen, die unsere Position mittelfristig schwächen: Davon rate ich ab.“