Die Zukunft der Liberalen: FDP hofft und bangt nach Mitgliederentscheid
Die FDP-Spitze zittert vor dem Ausgang ihres Mitgliederentscheids über den Euro-Rettungsschirm. Welche Szenarien sind denkbar?
MEHRHEIT FÜR RETTUNGSSCHIRM
Quorum erreicht
Wenn der Leiter der Zählkommission zum Euro-Mitgliederentscheid am Freitagnachmittag von Bonn nach Berlin fliegt, bringt er dem Parteivorstand ein brisantes Ergebnis mit. Vor wenigen Tagen hatte Parteichef Philipp Rösler zum Entsetzen vieler Parteifreunde vorausgesagt, die Initiatoren würden am notwendigen Quorum von einem Drittel der Mitglieder (21.500) scheitern.
Doch sind in den vergangenen Tagen noch einmal mehrere tausend Briefe eingegangen – womöglich wurden bislang unentschiedene Mitglieder aufgeschreckt durch die plumpe Siegesmeldung des Vorsitzenden. Ein deutlicher Sieg der Befürworter des ständigen Euro-Rettungsschirms (ESM) unter Erreichen des Quorums wäre zumindest kurzfristig das optimale Ergebnis für den angeschlagenen Parteivorsitzenden Rösler.
Er und die anderen ESM-Befürworter in der Führung von Fraktion und Partei hätten sich überzeugend durchgesetzt und könnten sich in ihren Beiträgen zur Euro-Rettung auf das direkte Votum der Parteibasis stützen. Damit wäre klar: Die Initiatoren Frank Schäffler und Burkhard Hirsch geben mit ihrer Kritik nicht einer heimlichen Mehrheit Ausdruck gegeben. Auf einem anderen Blatt steht, ob ein solcher klarer Sieg Röslers, für den noch am Donnerstag wenig sprach, auch für die FDP das optimale Ergebnis darstellen würde.
Nicht nur in den eigenen Reihen gilt der Wirtschaftsminister als überfordert und als verantwortlich für die andauernde Malaise seiner Partei. Auch wichtige Akteure der Union wünschen sich, dass Rösler bald von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle abgelöst wird. Die „Boy group“ von Rösler, Gesundheitsminister und NRW-Landeschef Daniel Bahr sowie dem am Mittwoch zurückgetretenen Ex-Generalsekretär Christian Lindner sei gescheitert.
Nun könne nur eine politisch erfahrene Kraft die FDP stabilisieren, die bei der liberalen Basis und bei den Wählern Autorität genieße, heißt es. Allerdings muss ein Wechsel an der FDP-Spitze schnell organisiert werden, wenn er bei der Landtagswahl von Schleswig-Holstein im Mai schon positive Wirkung zeigen soll. Wenn Rösler klar gewinnt, wird die Union ihrem Koalitionspartner keine Ratschläge zum Umgang mit ihrem Parteichef geben – zumindest keine öffentlichen. Klammert er sich bis zum Mai an sein Amt, wird der große Koalitionspartner aber die strategische Option endgültig aufgeben, nach der Bundestagswahl 2013 noch einmal mit einer dann stabilisierten FDP zu koalieren.
Quorum nicht erreicht
Auch eine Mehrheit für den ESM ohne Erreichen des Quorums wird Rösler als eigenen Sieg verkaufen. Zwar haben die Liberalen dann keine mustergültige basisdemokratische Euro-Entscheidung hinbekommen. Und es spricht auch nicht für die Überzeugungskraft Röslers, wenn sogar eine Überlebensfrage für die FDP die Mitglieder nicht zum Handeln treibt. Allerdings dürfte Rösler dann Zuflucht zu dem Argument nehmen, die Abstimmungsverlierer in der FDP hätten in Wirklichkeit seine Linie stützen wollen.
Was passiert, wenn die Mehrheit gegen den Rettungsschirm ist?
MEHRHEIT GEGEN RETTUNGSSCHIRM
Quorum erreicht
Ein solches Ergebnis wäre für Rösler ein so großes Desaster, dass er sowohl in seinem eigenen Interesse als auch in dem seiner Partei zurücktreten müsste. Die ESM-Skeptiker wären eindrucksvoll bestätigt und könnten mit guten Argumenten an die 93 Bundestagsabgeordneten der Liberalen appellieren, sich bei der anstehenden Abstimmung über den Rettungsschirm ESM dem Votum der eigenen Basis zu beugen.
Kanzlerin Angela Merkel aber kann in der Eurokrise keine Phase der Unsicherheit zulassen, in der nicht klar ist, dass die Regierung handlungsfähig bleibt. Mit anderen Worten: Wenn Schäffler das Quorum erreicht und siegt, werden die Aktienmärkte sofort auf die politische Krise im wichtigsten EU-Land reagieren – und zwar nicht mit einer Vertrauenserklärung für den Euro.
Liberale Abgeordnete rechnen mit folgendem Szenario für diesen Fall: Merkel bestellt Rösler ein und erklärt die Koalition für beendet. Innerhalb von Minuten tritt die SPD-Troika aus Parteichef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück vor die Presse und verspricht, die SPD werde alle notwendigen Euro-Entscheidungen mittragen – allerdings nur bis zu Neuwahlen in wenigen Monaten.
Nur einem liberalen Politiker traut die Union zu, auch in der Krise die Handlungsfähigkeit der FDP-Fraktion zu garantieren: Rainer Brüderle. Der Fraktionschef weist gerne darauf hin, dass Abgeordnete laut Grundgesetz nicht an Weisungen gebunden sind – also auch an keinen Mitgliederentscheid. Die 93 liberalen Parlamentarier haben auch kein Interesse an schnellen Neuwahlen, die sie aus dem Parlament schmeißen oder zumindest ihre Zahl radikal reduzieren würde.
Das könnte sie für den ESM stimmen lassen. Doch schon der Klärungsprozess hin etwa zu einer Pro-ESM-Erklärung einer großen Fraktionsmehrheit brächte so viel Unruhe mit sich, dass Merkel von sich aus handeln müsste – gegen die FDP und für einen klaren Kurs Deutschlands, der nur auf Neuwahlen gründen könnte.
Quorum nicht erreicht
Wird das Quorum nicht erreicht, ist der Entscheid nicht bindend. Dieses in der FDP-Zentrale zurzeit oft strapazierte Argument aber dürfte Rösler wenig helfen: In der Sache ist er dann gescheitert, die Zweifel der Basis an seiner Überzeugungs- und Durchsetzungsfähigkeit sind dann für jeden klar dokumentiert. Auch in diesem Fall würde Rainer Brüderle aufgefordert, den jungen Vorsitzenden zu ersetzen.
Brüderle gibt Solidaritätserklärungen für Rösler ab und verbreitet, er wolle nicht Parteichef werden. Womöglich steht dahinter auch die Überlegung, dass ihm nach einem schnellen Wechsel eine mögliche Niederlage bei den Landtagswahlen im Norden angelastet würde. Doch die Zeit, bis zur Wahl im Mai zu warten, dürfte im Ernstfall weder der FDP noch Brüderle bleiben.