Lindner will „spürbaren Unterschied“ im Alltag: FDP dringt auf rasche Corona-Lockerungen
Trotz hoher Infektionszahlen plädiert die FDP entschieden für die Lockerung der Corona-Beschränkungen. Am Mittwoch beraten Bund und Länder eine Strategie.
Vor dem Corona-Gipfel von Bund und Ländern am Mittwoch dringt die FDP auf schnelle und spürbare Lockerungen. Nach der Beratung der Regierungschefs mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) müsse es einen „spürbaren Unterschied in unserem Alltag“ geben, sagte Parteichef Christian Lindner der „Bild am Sonntag“ („BamS“). „Klar ist, dass man zu forsch beim Öffnen sein kann. Diese Gefahr ist aber inzwischen äußerst überschaubar.“ Die Kommunen wollen zumindest einen konkreten, einheitlichen Plan für Öffnungen.
„Nach über zwei Jahren Corona-Pandemie wollen die Menschen und die Wirtschaft endlich ein Hoffnungssignal“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
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Als erstes sollten bundesweit die Zugangsbeschränkungen im Einzelhandel fallen. „Zusätzlich sollten Erleichterungen insbesondere für Jugendliche und bei Sportveranstaltungen bundeseinheitlich vorgegeben werden“, verlangte Landsberg. Zur Begründung führte er an, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle in wenigen Tagen erwartet werde und sich eine Überlastung der Krankenhäuser nicht abzeichne. „Natürlich müssen Abstände und auch die FFP2-Maske weiterhin vorgeschrieben werden.“
Als sicher gilt, dass trotz der Extremlage von mehr als 200.000 Neuinfektionen am Tag die Regierungschefs einen Öffnungsplan entwerfen werden - weil Omikron-Erkrankungen bei vielen glimpflicher ausgehen als die mit früher vorherrschenden Varianten. Fraglich ist, wie schnell und in welchen Schritten Öffnungen dann kommen und ob das bis 19. März befristete Infektionsschutzgesetz als Grundlage der Schutzmaßnahmen darüber hinaus vorsorglich verlängert werden soll. Die Ampel-Koalition hatte auf Drängen der FDP bereits einmal - zu Beginn der vierten Welle - das Schutz-Instrumentarium reduziert und dann angesichts der außer Kontrolle geratenen Infektionslage nachsteuern müssen.
Auch jetzt drängt FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf die Aufhebung aller Maßnahmen am 19. März. „Und damit das nicht auf einen Schlag passiert, sollten wir bereits jetzt anfangen, erste Einschränkungen Schritt für Schritt zurückzunehmen“, sagte er der „BamS“.
Die SPD-Länder und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen scheinen Lockerungen unter Verlängerung der Rechtsgrundlage für die Maßnahmen anzustreben. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der zur Vorsicht mahnt, hatte sich dafür ausgesprochen, Öffnungsperspektiven zu entwickeln.
Dem „Spiegel“ sagte Lauterbach mit Blick auf die derzeitigen Schutzmaßnahmen: „Wir retten pro Tag 100 bis 150 Menschenleben.“ Er hatte mit Hinweis auf Öffnungsschritte in Israel und die dort dann aus dem Ruder gelaufene Infektionslage gewarnt, in Deutschland käme man dann auf 400 bis 500 Tote am Tag statt 100 bis 150 derzeit.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zieht solche Modellrechnungen in Zweifel. „Wir sollten den Menschen nicht mehr Angst einjagen, als es angezeigt ist. Viele befinden sich seit zwei Jahren in einer sehr belastenden Situation. Da muss man den Stress nicht noch vergrößern“, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“.
Sobald der Scheitelpunkt der Omikronwelle überschritten sei, müsse man Maßnahmen zurückfahren, schreibt Buschmann auf Twitter. „Es ist richtig, dass wir jetzt eine Debatte darüber führen, welche Corona-Maßnahmen überhaupt noch begründbar sind.“
Derweil meldete das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit Ende Dezember eine niedrigere bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz als am Vortag - wobei die Aussagekraft der Daten derzeit eingeschränkt ist. Das RKI gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Sonntagmorgen mit 1466,5 an. Am Vortag lag der Wert noch bei 1474,3. Es ist allerdings schwer zu beurteilen, ob sich damit ein Plateau der Omikronwelle andeutet und der rasante Anstieg bei den Ansteckungen in Deutschland gebremst ist. Es könnte auch sein, dass der Inzidenzrückgang nicht das tatsächliche Infektionsgeschehen widerspiegelt, sondern Folge eines überlasteten Melde- und Testsystems ist.
Das Mitglied des Corona-Expertenrats der Regierung, Christian Karagiannidis, der das Divi-Intensivregister leitet, forderte derweil Vorbereitungen auf eine weitere Corona-Welle im Herbst und dabei auch eine neue Teststrategie. Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland schlägt er vor, „im Herbst nicht mehr auf Verdacht zu testen, sondern Tests nur noch für vulnerable Gruppen und Personen mit Corona-Symptomen anzubieten“. Ergänzend solle es Abwasser-Screenings geben und ein Monitoring der Patienten mit Atemwegsinfektionen. „Klar ist schon jetzt, dass wir im Herbst und Winter mindestens zum Schutz der chronisch Kranken wieder Masken benötigen.“ (dpa)