Extremismusforscher Wolfgang Benz im Interview: „Fataler Schmusekurs“ zwischen sächsischer Regierung und Asyl-Gegnern
Sachsen ist dafür derzeit der Kristallisationspunkt von fremdenfeindlichen Attacken auf Asylunterkünfte. Der renommierte Zeithistoriker und Extremismusforscher Wolfgang Benz schriebt der sächsischen Landesregierung hierfür eine klare Mitschuld zu. Ein Interview.
Herr Benz, wie ist Ihre Einschätzung der fremdenfeindlichen Attacken in Freital und Meißen?
Irgendjemand stiftet immer an, und das waren auch die Parolen der Leute, die sich unter den Fahnen von Pegida zusammengefunden und „Multikultur tötet!“ auf Transparente geschrieben haben. Und das ist nun mal nicht so friedlich zu machen, wie die Pegida-Anhänger immer behauptet haben. Das wird zwangsläufig rabiater und radikaler. Das Ergebnis sind angezündete Wohnheime. Das passiert ja nicht zum ersten Mal. Das wird sich häufen.
Das heißt, Sie sehen die Gefahr einer weiteren Eskalation?
Ja, das kann weiter eskalieren. Aller Erfahrung nach sind Nachahmungstaten zu befürchten. Solche Anschläge spornen an. Solange gehetzt wird, finden sich Täter.
Warum findet die Ausländer- und Asylfeindlichkeit in Sachsen derzeit solch einen guten Nährboden?
Dafür gibt es bislang keine plausible Erklärung, weder politologisch noch soziologisch noch historisch. Auch nicht dafür, warum die Pegida-Bewegung ausgerechnet in Dresden begann. Der Erfolg, den sie dann hatte, bis hin zum Anschlag in Meißen, ist leichter zu erklären.
Der sächsischen Landesregierung wird in diesem Zusammenhang große Zögerlichkeit vorgeworfen. Wie beurteilen Sie das?
Die sächsische Regierung hätte früher und entschiedener reagieren können und müssen. Da wurde viel zu lange beschönigt, klein geredet und weggeschaut. Man hat sich eher darum gekümmert, Streicheleinheiten zu verabreichen, als sich deutlich zu distanzieren. Aus der Haltung „Man muss die Leute dort abholen, wo sie stehen“ ist vielfach ein fataler Schmusekurs entstanden. Ich finde es auch bedenklich, dass prominente Politiker und Politologen wie auch der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, den Anschein erweckten, sich zum Anwalt der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung zu machen.
Wie hätte die Landesregierung denn reagieren sollen?
Sie hätte, als sie auf die besorgten Bürger zuging, entschieden sagen müssen: Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Denunziation und Hetze gegen Minderheiten ist in unserer demokratischen Gesellschaft unerlaubt und unanständig. Der Dialog mit den Bürgern ist ganz wichtig, und die Politiker müssen die Ängste und Sorgen der Bürger ernstnehmen. Aber eben auch klar machen: Gepöbel gegen Ausländer und Stigmatisierung oder Diffamierung von Asylbewerbern darf nicht sein. (kna)
Karin Wollschläger