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Heute werden Fake News und Propaganda vorwiegend über soziale Medien verbreitet. Das war nicht immer so.
© Tobias Hase/dpa

Historikerin über Propaganda und Fake News: „Falsche Nachrichten hat es immer gegeben“

Bereits in den 20er Jahren hätten wenige Firmen die Nachrichten beherrscht - und gezielt gesteuert, sagt die Historikerin Heidi Tworek im Interview.

Fake News und die Informationskriege weltweit sind längst kein neues Phänomen. Kaum jemand hat so intensiv die Parallelen erforscht wie die Historikerin Heidi Tworek von der University of British Columbia in Kanada, ihr aktuelles Werk heißt: „News from Germany: The Competition to Control World Communications, 1900–1945.“

Bei einem Besuch in Berlin zeigt sie auf, warum hundert Jahre später ganz ähnliche Mechanismen der Desinformation greifen – und welche aktive Rolle besonders China inzwischen einnimmt. 

Frau Tworek, was sind die größten Parallelen beim Thema Propaganda und Fake News zwischen den 1920er/1930er Jahren und heute?  

Der Wortschatz, der benutzt wird, zum Beispiel in Deutschland: Lügenpresse und weitere Begriffe aus den zwanziger Jahren. Zweitens sieht man, dass wieder Politik und Medien in Frage gestellt werden. Und drittens kommen wirtschaftliche Probleme hinzu. Es wird jetzt immer gesagt, das Internet sei etwas ganz Neues, dafür gäbe es keine Präzedenzfälle.

Dabei gibt es die gleichen Muster wie damals: Ganz wenige Firmen, die die Nachrichten beherrschen. Facebook, Google, in China ist es genauso – das ähnelt der Monopolstellung der Nachrichtenagenturen vor hundert Jahren. 90 Prozent aller deutschen Zeitungen bezogen 1926 ihre nationalen und internationalen Nachrichten von Nachrichtenagenturen, oft staatlich beeinflusst. Heute wird vieles, was die Menschen erreicht, ebenfalls gezielt gesteuert, über Algorithmen.

1926, da gab es aber noch eine freie Presse in Deutschland.

Ja, aber viele Zeitungen hatten bereits wirtschaftliche Probleme, gerade die kleineren. Inflation, hohe Papierpreise - die ideologisch beeinflussten Agenturen boten ihr Material günstiger an, um einen gewissen Propagandaeffekt zu erzielen. Die Telegraphen-Union des deutschnationalen Politikers Alfred Hugenberg ist ein bekanntes Beispiel dafür. Und nach 1933 haben die Nazis die Nachrichtenagenturen dann gleichgeschaltet. Es wurde davor der Eindruck erweckt: Es gäbe eine Vielfalt an Meinungen, aber in der Wirklichkeit gab es hinter den Nachrichten diese Vielfalt nicht. Das ähnelt der Situation heute. Jeder meint, er hätte eine Stimme. Das ist auf der einen Seite wahr, aber auf der anderen Seite gibt es nur eine kleine Zahl an Firmen, die Nachrichten liefern, filtern und verbreiten.

Historikerin Heidi Tworek von der University of British Columbia in Kanada
Historikerin Heidi Tworek von der University of British Columbia in Kanada
© privat

Aber heute gibt es so viel Zugang zu Wissen wie nie zuvor, wie können so viele Menschen offensichtlich falschen oder politisch gelenkten Informationen Glauben schenken?

Es wird zu genau dieser Frage inzwischen interdisziplinär gearbeitet, man muss auch stark auf den psychologischen Aspekt schauen. Falsche Nachrichten hat es immer geben, ebenso wie den fruchtbaren Boden, auf den sie fielen. Neu ist, dass Algorithmen versuchen, uns von bestimmten Dingen zu überzeugen, und uns gezielt Nachrichten zu unseren Interessensblasen zukommen zu lassen. Psychologen haben erforscht, bei welchen Gefühlslagen der Nährboden besonders groß ist. Hier spielen negative Emotionen eine entscheidende Rolle. Menschen neigen eher dazu, Nachrichten zu teilen, weiterzuverbreiten, wenn sie wütend sind. Dadurch wiederum schneiden die Algorithmen noch gezielter Informationen auf einen zu.

Früher war es ja sehr stark Deutschland, das das Instrument der Fake news und Propaganda genutzt hat. Spielen Nachrichtenagenturen als Beeinflussungsmedium heute nicht auch wieder eine wachsende Rolle, wenn man an Russia Today, Anadolu oder Xinhua denkt?

Das ist ein wichtiger Punkt – bestimmte Nachrichten werden fast verschenkt, zum Beispiel in Lateinamerika, wo viele Medien große ökonomische Schwierigkeiten haben. Das haben die Nazis in den 1930er Jahren weltweit über die Nachrichtenagentur Transocean gemacht. Weil man wusste, die Zeitungen werden das drucken. Heute werden für viele Zeitungen wegen wirtschaftlicher Zwänge Nachrichtenagenturen wieder viel wichtiger.

Und Staaten wie Russland und China nutzen sie für Geopolitik. Sie subventionieren sie, um Nachrichten kostengünstig anzubieten, um die Meinung weltweit zu beeinflussen. Oder es werden Anteile an Medienhäusern erworben. Das Chinfluence-Projekt untersucht zum Beispiel den chinesischen Einfluss auf die Visegrad-Staaten. Ihre Forschung zeigt unter anderem, dass in tschechischen Zeitungen die Berichterstattung über China positiver wurde, nachdem chinesische Firmen Anteile an diesen Medien erworben hatten.

Also wiederholen sich die gleichen Muster?

Ja, aber nicht nur. China versucht in Afrika und Ländern entlang ihres Seidenstraßenprojekts Nachrichten nicht nur zu dominieren, sondern gleich die ganze Infrastruktur aufzubauen, mit 5G oder in Afrika 4G. Huawei hat in Afrika 70 Prozent der 4G-Netze gebaut. Übrigens war das letztlich schon eine Idee der Deutschen. Die haben damals die Radio- und Telegraphie-Infrastruktur versucht selbst aufzubauen. In den Kolonien wurden eigene Masten aufgestellt.

Man muss auch heute genau hinter die Zeitung und die sozialen Medien schauen, wo kommen die Nachrichten her, wem nützt es – und in Zukunft wird eine Frage immer wichtiger: Wer kontrolliert die Internet-Unterseekabel, wo landen sie an? Denn wer im Kriegsfall Verbindungen kappen kann, kann auch die Nachrichtenverbreitung massiv beeinflussen.

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