Lyk Carpet: Fair geknüpft in Kathmandu
Mareike Lienau arbeitete als erfolgreiche Grafikerin – bis die Geburt ihres Kindes ihr Leben auf den Kopf stellte und sie die Leidenschaft für tibetische Knüpfkunst packte. Seit fünf Jahren lässt sie in Nepal natürliche Teppicheaus reiner Himalaya-Hochlandwolle fertigen und erzeugt dabei eine besondere Spannung zwischen Detail und Fläche.
Am liebsten mag er dunkle feuchte Wälder. Legenden zufolge soll er vor dem Bösen schützen und magische Kräfte verleihen. „Der Farn hat mich ästhetisch unglaublich angesprochen“, sagt Mareike Lienau. Deshalb holte sie die Pflanze aus ihrem Schattendasein ins heimische Wohnzimmer – und ließ sich von ihr inspirieren. Filigrane Wedel zieren ihren jüngsten Entwurf: den auberginefarbenen Teppich „Farn“. Je nach Lichteinfall changiert er in feinen Violettnuancen, erscheint klar oder gedämpft, seidenglänzend oder matt. Dank raffinierter Verläufe versprüht er im Raum einen ganz besonderen Zauber.
„Das liegt am Material“, sagt die Designerin und streift mit der Hand sanft über die geschmeidige Oberfläche. Ihre Teppiche entstehen aus reiner tibetischer Hochlandwolle, deren Qualität zu den besten weltweit zählt. Sie wird ganz ohne Chemie verarbeitet. „Durch den hohen Lanolingehalt haben die Fasern eine hohe Spannkraft und diesen unverwechselbaren Glanz. Mit den Jahren werden sie sogar noch feiner“, sagt sie.
Mehrere Farnsorten schmücken auch Lienaus kleinen Garten im Hinterhaus eines Kreuzberger Altbaus. Hier, mitten im hektischen Berlin, spinnt die Designerin Ideen für ihre neuen Produkte. Mehr als sechstausend Kilometer entfernt nehmen sie Gestalt an – unter den ruhigen Händen tibetischer Weberinnen. Seit fünf Jahren lässt Lienau ihre Teppiche in einer Manufaktur im Kathmandutal nach uralter Tradition fertigen. „Nepal ist buddhistisch geprägt, also können Frauen dort relativ frei agieren“, sagt sie.
Weg von der klassischen Bordüre
65 Mitarbeiter sind in der Fabrik beschäftigt, in die Mareike Lienau die Vorlagen mit ihren Designs schickt. Die digitalen Muster werden zu Papier gebracht und dann sorgfältig Knoten für Knoten umgesetzt. „Eine geschickte Knüpferin schafft 20 Quadratzentimeter am Tag“, sagt sie. Klingt wenig. Doch faire Arbeitsbedingungen liegen Lienau am Herzen: „Wir wollen vor Ort keinen Schaden anrichten.“ Deshalb wird jedes ihrer Produkte vom Schweizer Fairtrade Label Step zertifiziert.
Lyk Carpet heißt das junge Unternehmen, das Lienau 2009 gemeinsam mit ihrer Schwester Kirsten Dreher auf die Beine gestellt hat. Zuvor war sie eigentlich als Grafikerin tätig. Nach ihrem Industriedesign-Studium an der Berliner Hochschule der Künste hatte sie sich gleich zwei Jobs aufgehalst. Doch als dann ihr erstes Kind geboren wurde, konnte sie das Pensum nicht mehr schaffen. Ein Wunsch keimte in ihr auf: „Ich wollte etwas machen, das nicht nur schön ist, sondern auch lange hält. Ein Naturprodukt, das sozial und ökologisch verträglich ist“, erzählt sie. Also habe sie recherchiert – und ist dabei der tibetischen Teppichkunst verfallen.
„Die typisch tibetischen Teppiche haben üppige Muster mit Drachen und aufwendigen Verzierungen“, erzählt die 38-Jährige. Die Entwürfe von Lyk Carpet sind anders – und bestechen vor allem durch ihre Unbeschwertheit. „Ich wollte weg von der klassischen Bordüre“, sagt die Designerin. Ruhiges, emotional ansprechendes Design sei ihr wichtig. Also versucht sie, nicht den modischen Trends hinterher zu laufen. Die Vielfalt der Natur regt ihre Fantasie an. Mal sind es zartgrüne Schilfhalme am Ufer eines Sees. Mal große Laubblätter, die Schatten spenden, aber auch warme Sonnenstrahlen durchblinzeln lassen. Lienau lässt sich sogar durch Spuren von Haus- und Wildtieren inspirieren, die später in Kinderzimmern zu Mustern werden.
Krappwurzeln für Rot, Kusum-Blumen für Gelb
Die luftig-leichten Designs sollen „Raum für Materialität lassen“. Grafische Formen und Linien kontrastieren dabei mit aufregenden Farbspielen. Das Geheimnis: die Färbetechnik. 70 Naturtöne hat Lienau gemeinsam mit den Färbmeistern entwickelt. „Alle werden nach uralten Rezepten gemischt“, sagt sie und holt aus einer Kiste kleine Säckchen mit getrockneten Pflanzen hervor: „Das sind Krappwurzeln, sie werden für Rot verwendet. Kusum-Blumen für Gelb, die Walnussschale für Braun und die Indigopflanze für Blau.“
Bereits seit Jahrhunderten hätten die Tibeter so ihre Teppiche gefärbt. „Vor ungefähr 50 Jahren brachten die Flüchtlinge ihr Handwerk nach Nepal“, sagt sie. Die Teppichknüpferei avancierte schnell zum Exportschlager. Noch in den Achtzigern boomte die Produktion.
Heute kämpft die Branche ums Überleben. „Das Kunsthandwerk stirbt langsam aus“, sagt Lienau seufzend. Das liege an den Dumpinglöhnen. Durch den fairen Handel würden die Menschen wieder Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren, sagt sie und schwärmt: „Die Teppiche sind doch voll guter Energie.“