Er tötete George Floyd: Ex-Polizist Derek Chauvin wegen Mordes verurteilt
Ende Mai 2020 starb der Afroamerikaner Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis. Nun hat eine Jury ihr Urteil gefällt: Der Polizist Chauvin ist schuldig.
Dieses Urteil war erwartet worden wie vielleicht wenige vor ihm: Im Fall des getöteten Afroamerikaners George Floyd ist der amerikanische Ex-Polizist Derek Chauvin in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Wie Richter Peter Cahill am Dienstagnachmittag (Ortszeit) in Minneapolis bekannt gab, hat ihn die zwölfköpfige Jury wegen Mord zweiten Grades (bis zu 40 Jahre Haft), Mord dritten Grades (bis zu 25 Jahre Haft) und Totschlag zweiten Grades (bis zu zehn Jahre Haft) verurteilt.
Damit droht Chauvin eine lange Haftstrafe. Das genaue Strafmaß soll erst in rund acht Wochen von Richter Cahill festgelegt werden. Chauvins Verteidigung könnte noch Berufung gegen das Urteil einlegen.
Chauvin nahm den Schuldspruch regungslos zur Kenntnis, wie in den Fernsehübertragungen zu sehen war. Der bislang gegen Kaution freigelassene Ex-Polizist wurde umgehend festgenommen, ein Beamter legte ihm noch im Gerichtssaal Handschellen an.
Nach drei Wochen Verhandlung hatten die zwölf Geschworenen am Montag und Dienstag insgesamt elf Stunden über den Fall beraten, der die USA in den vergangenen Monaten in Atem gehalten hatte und auch international aufmerksam verfolgt worden war. Für viele Amerikaner ging es bei dem Prozess um mehr als nur um die Schuld eines einzelnen Mannes. Sie prangern systematischen Rassismus in Amerika und exzessive Polizeigewalt gegen Minderheiten an, die viel zu selten geahndet werde.
Der 46-jährige Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Wie auf dem Video einer Passantin zu sehen ist, hatte der weiße Polizist Chauvin neun Minuten und 29 Sekunden (der Zeitraum wurde mehrfach nach oben korrigiert) auf Floyds Hals gekniet und auch nicht von ihm abgelassen, als der ihn anflehte und ausstieß, nicht mehr atmen zu können. Drei weitere Polizisten waren an dem Vorfall beteiligt.
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Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb wenig später. Die Beamten hatten ihn wegen des Verdachts festgenommen, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben. Er hatte sich gegen seine Festnahme gewehrt.
Floyds letzte Worte „I can’t breathe“ wurden zum Motto der größten Protestbewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt seit Jahrzehnten. Seitdem wird immer wieder vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis demonstriert.
Auch am Dienstag hatten sich hunderte Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis versammelt, die angespannt auf die Urteilsverkündung warteten und Gerechtigkeit für Floyd forderten. Nach der Urteilsverkündung brach Jubel in der Menge aus.
Wegen des Prozesses war in Minneapolis ein Großaufgebot der Sicherheitskräfte im Einsatz, allein rund 3000 Soldaten der Nationalgarde waren zur Unterstützung einberufen worden. Viele Verwaltungsgebäude waren mit Zäunen und Stacheldraht gesichert, Geschäfte hatten die Schaufenster verrammelt. Minnesotas Gouverneur Tim Walz hatte vor der Urteilsverkündung dazu aufgerufen, friedlich zu demonstrieren und Ausschreitungen und „Chaos“ zu vermeiden.
Chauvin hatte auf nicht schuldig plädiert
Chauvin hatte in dem Prozess auf nicht schuldig plädiert, aber auf eine Aussage verzichtet. Die drei weiteren ehemaligen Polizisten, die an dem Einsatz beteiligt waren und Chauvin nicht stoppten, wird Beihilfe vorgeworfen. Ihr Prozess soll im August beginnen.
Die Staatsanwaltschaft forderte am Montag in ihrem Schlussplädoyer einen Schuldspruch gegen Chauvin in allen drei Anklagepunkten. Der weiße Ex-Polizist habe Floyd durch seinen Knie-Einsatz getötet: „Das war keine Polizeiarbeit. Das war Mord“, hatte Staatsanwalt Steve Schleicher gesagt. „Das waren neun Minuten und 29 Sekunden eines schockierenden Amtsmissbrauchs.“
Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte dagegen gefordert, sein Mandant müsse freigesprochen werden. Chauvin habe rechtmäßig und regelkonform Zwangsmittel eingesetzt, weil Floyd bei seiner Festnahme „aktiven Widerstand“ geleistet habe. Die Staatsanwaltschaft könne zudem nicht zweifellos belegen, dass nicht Herzprobleme und Drogenkonsum bei Floyds Tod eine Rolle gespielt hätten. Dieser Auffassung schlossen sich die Geschworenen offenbar nicht an.
Biden zieht Kritik auf sich, weil er für „richtiges Urteil“ betete
Die Erwartungen an den Ausgang des Verfahrens waren gigantisch. Selbst US-Präsident Joe Biden hatte am Dienstagmorgen durchblicken lassen, dass er auf einen Schuldspruch gegen Chauvin hofft. „Ich bete, dass das Urteil das richtige Urteil wird“, sagte Biden. Die Beweislage sei seiner Ansicht nach „überwältigend“.
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Biden sagte damit zwar nicht direkt, dass er von einem Schuldspruch gegen Chauvin ausging. Seine Äußerungen während eines laufenden Justizverfahrens wurden aber eindeutig aufgenommen und umgehend kritisiert, auch, weil der Präsident am Vortag mit Floyds Angehörigen telefoniert hatte.
Biden verwies anschließend darauf, dass die Geschworenen im Prozess gegen Chauvin am Montag in Minneapolis ihre Beratungen aufgenommen hatten und deswegen von der Öffentlichkeit abgeschottet werden. Sonst hätte er sich nicht zu dem Fall geäußert, sagte er.
US-Demokraten begrüßen das Urteil
Der Präsident verschob am Nachmittag geplante Äußerungen zu seinem Infrastrukturplan, um zunächst auf das Urteil der Geschworenen zu warten. Die Anspannung war extrem hoch, da mit heftigen Protesten im Fall eines Freispruchs oder eines milden Urteils gerechnet worden war. Biden, der die Verkündung im Weißen Haus verfolgte, äußerte sich am Abend bei einem gemeinsamen Auftritt mit Vizepräsidentin Kamala Harris.
„Das heutige Urteil ist ein Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Biden. „Dies kann ein gigantischer Schritt hin zu Gerechtigkeit in Amerika sei.“ Nichts könne jemals den Bruder, den Vater zurückbringen. Aber wenn die Amerikaner aktiv würden, könne dies „ein Moment bedeutenden Wandels“ sein.
Harris forderte den US-Senat auf, eine von ihr noch als Senatorin mitverfasste und nach Floyd benannte Polizeireform zu verabschieden, wie es das Repräsentantenhaus bereits getan habe. Die institutionalisierte Diskriminierung sei nicht nur ein Problem des schwarzen Amerikas oder anderer Minderheiten, sagte die Vizepräsidentin. Sie sei ein Problem für jeden Amerikaner. „Denn es hält uns davon ab, das Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu erfüllen. Und es hält unsere Nation davon ab, unser volles Potenzial auszuschöpfen.“
Bereits direkt nach dem Urteil hatten Biden und Harris Angehörige von George Floyd angerufen. Ein Video, das der Anwalt der Familie, Ben Crump, auf Twitter verbreitete, zeigt, wie die Familie den Anruf aus dem Weißen Haus entgegennahm. Biden sagte darin, alle seien sehr erleichtert. Natürlich könne das Urteil nicht alles auf einmal besser machen. „Aber zumindest gibt es jetzt etwas Gerechtigkeit.“ Der Anfang sei gemacht.
Auch die führenden Demokraten im US-Kongress begrüßten das Urteil ebenfalls umgehend. So erklärte die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Floyds Name werde von nun an für immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein. An Floyd gerichtet sagte sie: „Danke, George Floyd, dass Sie Ihr Leben für die Gerechtigkeit geopfert haben.“
Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, sagte, er sei dankbar, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei. Gleichzeitig mahnte er: „Wir sollten einen Schuldspruch in diesem Fall nicht irrtümlich als Beleg dafür verstehen, dass das Problem polizeilichen Fehlverhaltens damit gelöst ist.“ Die Arbeit gehe weiter.
Die Erwartungen sind riesig, dass sich jetzt endlich wirklich etwas verändert in Amerika. Anwalt Crump bezeichnete das Urteil als „historischen Wendepunkt“. Es sende die „klare Botschaft“, dass Polizisten für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden müssten. Viele Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude skandierten, dies sei „ein neuer Tag für Amerika“.