zum Hauptinhalt

Politik: Ex-Chef der "Colonia Dignidad" gefasst

Nach neun Jahren Fahndung ist der frühere Leiter der berüchtigten deutschen Siedlung "Colonia Dignidad" im Süden Chiles, Paul Schäfer, in Argentinien festgenommen worden. Gegen Schäfer lagen internationale Haftbefehle aus Deutschland und aus Chile vor. Er verweigert bisher die Aussage.

Buenos Aires/Berlin (11.03.2005, 16:17 Uhr) - Am Freitag wurde ihm von der argentinischen Justiz ein Pflichtverteidiger gestellt. Dem 83-jährigen Schäfer werden Kindesmissbrauch und die Beteiligung an Verbrechen der Diktatur von Augusto Pinochet vorgeworfen.

In Berlin sprach Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) von einer «guten Nachricht». Die Bonner Staatsanwaltschaft prüft einen Auslieferungsantrag. Jedoch gingen politische Beobachter in Santiago und Buenos Aires davon aus, dass Schäfer nach Chile überstellt werde, wo die schwersten Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden.

Vor mehr als 40 Jahren hatte sich Schäfer aus Deutschland abgesetzt, nachdem schon hier Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs gegen ihn liefen. Mit anderen deutschen Einwanderern gründete er südlich von Santiago im Jahre 1961 die Enklave, hinter deren stromführenden Stacheldrahtzäunen er eine diktatorisch geführte Lebens- und Arbeitsgemeinschaft aufbaute.

In der von nationalsozialistischen Gedanken und Sekteneinflüssen geprägten Zwangswelt wurden die Geschlechter streng getrennt. Pausenlos wurden Sauberkeit und Fleiß gepredigt und die Mitglieder zu zwölf Stunden Arbeit pro Tag gezwungen. Immer wieder berichteten Flüchtlinge aber auch, dass sich Schäfer an Minderjährigen vergangen habe. In den ersten Jahren der Diktatur Pinochet soll die Geheimpolizei Dina in dem Camp ab 1973 systematisch gefoltert und gemordet haben. Amnesty International geht von 119 Opfern aus.

Bei seiner Festnahme hielt sich Schäfer in einer luxuriösen geschlossenen Wohnanlage in Tortuguitas etwa 40 Kilometer von Buenos Aires entfernt auf. Er saß im Rollstuhl. Chilenischen Medienberichten zufolge hatte er sich Ende vergangenen Jahres in einem Krankenhaus in Buenos Aires einen Herzbypass legen lassen. Wie der argentinische Interpol-Kommissar Alejandro Dimizo der dpa mitteilte, wurde Schäfer inzwischen in die Krankenabteilung des Hochsicherheitsgefängnisses in Marcos Paz bei Buenos Aires gebracht.

Schäfers jetziger Aufenthaltsort sei mit Hilfe von Hinweisen chilenischer Rechtsanwälte und Journalisten des Fernsehmagazins «Contacto» ermittelt worden, sagte der Interpol-Kommissar. Gegen den Festgenommenen lagen internationale Haftbefehle aus Deutschland und Chile vor. Mit ihm seien auch seine Adoptivtochter Rebeca del Carmen Schäfer sowie ein enger Mitarbeiter, eine Krankenschwester und ein Leibwächter von der Polizei abgeführt worden.

Außenminister Fischer sagte in Berlin, jetzt werde eine umfassende Aufklärung und Ahndung aller kriminellen Handlungen in der früheren «Colonia Dignidad» möglich. Argentiniens Präsident Néstor Kirchner will bei einem seit längeren geplanten Besuch am kommenden Wochenende in Santiago mit seinem chilenischen Kollegen Ricardo Lagos über den Fall sprechen. Chiles Vize-Innenminister Jorge Correa Sutil flog am Freitag zu Gesprächen nach Buenos Aires. Das Innenministerium in Buenos Aires, das für eine Abschiebung zuständig ist, teilte mit, es läge noch keine Entscheidung vor.

Die Ermittlungen der chilenischen Justiz hatten nach dem Ende der Diktatur Pinochets 1990 wieder an Fahrt gewonnen. 1996 tauchte Schäfer unter. 1998 soll er sich aus Chile abgesetzt haben. Mehrere Durchsuchungsaktionen der Jusitz in der inzwischen in «Villa Baviera» umbenannten landwirtschaftlichen Siedlung blieben erfolglos. Inzwischen hat sich die Siedlung geöffnet und wirbt sogar um Touristen. Sprecher der Siedler äußerten sich erleichtert über die Festnahme Schäfers. (tso)

()

Zur Startseite