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Archivbild von einem Flüchtlingsboot vor der italienischen Insel Lampedusa.
© dpa

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer: Europas Hilfe reicht nicht aus

Wieder sind Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Es ist ein weiteres Signal an die Europäische Union: Sie muss mehr tun für die Staaten im südlichen und östlichen Mittelmeerraum. Das wird teuer werden. Noch teurer wäre es aber, nicht zu helfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Jetzt schämen wir uns wieder, weisen Schuld zu, und natürlich geloben wir Besserung. Vor der libyschen Küste sind vermutlich 400 Flüchtlinge ums Leben gekommen, nachdem ihr Boot gekentert war. Die italienische Küstenwache konnte 145 Menschen lebend retten, die Regierung in Rom fordert erneut stärkere Unterstützung durch die Europäische Union bei der Überwachung des Mittelmeers. Ende 2014 lief die italienische Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“ aus. Diese Operation hatte Italien in die Wege geleitet, nachdem im Herbst 2013 400 Menschen vor Lampedusa ertrunken waren. Durch die „Mare Nostrum“-Schiffe wurden 140000 Menschen gerettet.

Die Nachfolge-Operation unter dem Namen „Triton“ operiert unter der Führung der EU-Grenzagentur Frontex. Die Aufgabe von Frontex ist die Grenzsicherung. Triton konzentriert sich, anders als Mare Nostrum, weniger auf die Rettung von Schiffbrüchigen auf hoher See als auf Rettungseinsätze in Küstennähe. Die Folge war vorhersehbar: Die Zahl der Toten steigt, es geschieht das Gegenteil von dem, was der italienische Regierungschef Matteo Renzi vor anderthalb Jahren als Ziel ausgegeben hatte: „Wir dürfen nicht erlauben, dass das Mittelmeer zu einem Friedhof wird. Die EU darf nicht einfach wegschauen“.

Die Verantwortung darf nicht allein Italien zugeschoben werden

Nun beginnt wieder der Streit um Quoten bei der Verteilung der Flüchtlinge, das rechthaberische Beharren darauf, dass die Flüchtlinge in jenem Land zu verbleiben haben, in dem sie zuerst EU-Boden betraten – was die Verantwortung naturgemäß vor allem Italien zuschreibt, denn die italienischen Küsten liegen jenen Häfen Nordafrikas am nächsten, aus denen die Flüchtlingsschiffe auslaufen. Zwar wäre auch Griechenland ein Ziel, aber die felsigen Küsten der Ägäis sind für die Boote gefährlich – und die griechischen Behörden bekannt-berüchtigt dafür, mit den Bootsflüchtlingen ruppig umzugehen. Dass der griechische Vizeminister Giannis Panoussis droht, er werde 300000 Migranten mit Reisedokumenten versehen und richtig Nord- und Mitteleuropa ausreisen lassen, wirft ein Schlaglicht auf den tatsächlichen oder drohenden Umgang mit den Asyl Suchenden aus Syrien, Libyen, dem Irak und Zentralafrika.

Die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas mag ungerecht sein, Bundesinnenminister de Maizière beklagt zu recht, dass zehn der 28 EU-Staaten überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen. Wenn man liest, dass Pro Asyl beklagt, in Bulgarien würden Flüchtlinge systematisch misshandelt und auch gefoltert, ist man jedoch eher froh darüber, wenn Asylbewerber dort nicht landen und fragt sich, wie manche Mitgliedsstaaten überhaupt geschafft haben, die Aufnahmekriterien in die Europäische Union auszutricksen.

Alle Überlegungen und Appelle zu einer gerechteren Verteilung der Asyl Suchenden ändern aber nichts daran, dass nur eine Veränderung in den Herkunftsländern der Flüchtlinge auf Dauer die Fluchtbewegung selbst eindämmen kann. Zum einen handelt die EU heuchlerisch, wenn sie zwar die illegale Zuwanderung nach Europa beklagt, aber immer noch keine Kriterien für eine legale Zuwanderung erarbeitet hat. Zum anderen erweist sich die Europäische Union seit dem Zusammenbruch der arabischen Diktaturen und dem Beginn jener kurzen politischen Tauwetterperiode, die wir den „arabischen Frühling“ nannten, als völlig unvorbereitet auf diese Umwälzungen. In Brüssel hielt man die Machtverhältnisse in den auf Ein-Mann-Führungen ausgerichteten politischen Systemen Nordafrikas und des arabischen nahen Ostens für stabil.

„Union für das Mittelmeer“ ist bisher nichts anderes als ein Buch mit leeren Seiten

Zwar nannte die EU nach einem Treffen ihrer Spitzenpolitiker in Barcelona bereits 1995 den Mittelmeerraum ein „Gebiet von strategischer Bedeutung“ und fasste alle mit Nordafrika geplanten Kooperationen unter dem Begriff „Barcelona-Prozess“ zusammen. Praktische Folgen hatte das nicht. Die Nordeuropäer hielten die euro-mediterrane Partnerschaft für eine politische Spielwiese vor allem der Franzosen und Italiener und standen abseits. Nun aber zeigt sich, dass die seit dem 13. März 2008 offiziell existierende „Union für das Mittelmeer“ nichts als ein Buch mit lauter leeren Seiten ist.

Die EU wird sich zu einem tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Konsultations- und Beistandsprozess aufraffen müssen, um den Staaten des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes zu helfen. Die USA nehmen uns auch dies nicht ab, mit Waffen ist das Problem nicht zu lösen. Die Hilfe wird teuer werden. Aber sie nicht zu leisten, wird uns noch viel teurer zu stehen kommen.

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